Auf jeder anständigen Kirmes gibt es diese Schaukeln, die wirken wie außer Kontrolle geratene Nickesel. Und auf jeder anständigen Kirmes, auf der ich bis jetzt gewesen bin, habe ich sie links liegen lassen. Durch die Luft gewirbelt werden, kopfüber, am besten noch mit einer ordentlichen Portion Zuckerwatte und Cola im Bauch? Nein. Danke.
In jedem anständigen Garten hingegen gibt es diese Schaukeln, die ich als Kind geliebt habe — und die ich noch heute liebe. Schaukeln aus zusammengezimmerten Balken und alten Gummireifen, aus Holzplanken und rissigen Seilen, aus ausgebleichtem Plastik und mit quietschenden Scharnieren. Auch in unserem Garten stand ein solches Gerüst, grün gestrichen, mit roten Füßen, und wenn ich nicht wüsste, das es schon lange nicht mehr dort steht — ich würde noch mal rausfahren, mich zwischen die alten Buchen und Rhododendren setzen, die Sonne im Gesicht und ein Eis in der Hand. Und schaukeln.
»Eltern wiegen ihre Babys zur Beruhigung hin und her, Kinder schaukeln auf dem Spielplatz und Rentner sitzen im Schaukelstuhl. Nur als Erwachsener schaukelt man nicht.«
Fiona Weber-Steinhaus
Auch Fiona Weber-Steinhaus, Journalistin beim Neon-Magazin, scheint diese Liebe mit mir zu teilen. Für Neon war sie mit ihrem Kollegen Fabian Weiss in Estland unterwegs und hat Menschen wie Ado Kosk und Ants Tamme besucht, die beim Anblick der Schaukel in unserem Garten wahrscheinlich die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen hätten. Offenbar sind die Est*innen nicht nur sprachlich mit den Finn*innen verwandt, sondern auch, was ihr Faible für außergewöhnliche Sportarten angeht. Bei den Finn*innen sind es Schlammfußball, Ehefrauenweittragen oder Handy-Weitwurf, bei den Est*innen ist es Kiiking, Schaukeln — mit Überschlag, versteht sich. Und zwar mit einem Überschlag, der aussieht, als wäre er ein großartiges Erlebnis.
»Wenn wir schon nicht fliegen können, sollten wir wenigstens mehr schaukeln«, sagt Fiona am Ende. Scheint, als würde es dann doch mal Zeit für eine Reise in dieses wunderbare Land.