Lange haben sich Blogger und vermeintliche Experten das Maul über jede Verzögerung des neuen WAZ-Online-Projekts unter Katharina »Lyssa« Borchert zerrissen. Jetzt ist »Der Westen« online — und besser als mancher glaubte.
Zunächst einmal kommt der Westen erstaunlich aufgeräumt daher. Eine dunkelrot unterlegte, zweigeteilte Navigation als Überleger, ein einziger, klarer und breiter Content-Bereich und eine schmale, rechts angelegte Leiste mit Zusatzangeboten. Wenig Schnickschnack, gar kein Blingbling, sparsamer Einsatz von Grafiken und Fotos. Ebenso wie auch die wichtigsten Inhalte über die Navigation zu erreichen: die fünf Zeitungen der WAZ-Gruppe. Zumindest vor dem ersten Klick überzeugt das Konzept.
Danach aber folgt eigentlich erst einmal nur Staunen. Vor allem beim Button »Nachrichten«. Darunter fasst die Westen-Redaktion anscheinend auch ihre Weblogs. Nun gut, eine kleine Aufwertung, die sicherlich der Verantwortlichen geschuldet ist. Sei Ihnen gegönnt. Die Inhalte der Blogs — soweit man das bisher sagen kann — machen jedoch durchaus neugierig: »3 Zimmer, Küche, Blog — wie DerWesten wohnt«, ein MSV-Blog für Zebra-Fans (warum ausgerechnet die?) oder ein hoffentlich ehrliches »Korrekturblog« machen Lust auf mehr. Ebenfalls unter Nachrichten, aber auf den ersten Blick deutlich weniger überzeugend: die Kindernachrichten, die — wie Alexander Svensson schon so richtig bemerkt hat — kaum nach solchen aussehen. Und auch sprachlich liegt der Westen mit diesem Angebot irgendwo in der Mitte zwischen Kika- oder Logo-Niveau und klassischem Journalismus. Könnte jedoch durchaus gut gehen, auch Kinder wollen schließlich ernst genommen werden.
Überraschende Qualität, klasse Aufmachung
Unter »Kultur« finden wir ein Interview mit Kulturstaatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff zum Thema — woher die das nur haben? — Web 2.0. Soso, der Westen setzt Themen. Oder sagen wir — er greift sie auf und dreht sie weiter. Jede Seite ist unterbrochen durch einen horizontalen »Multimedia«Streifen mit eigenen Videos oder Fotostrecken. Die Qualität der Videos ist überraschend gut, die Aufmachung der Beiträge dafür, dass diese Art der Berichterstattung in Deutschland immer noch hinterher hinkt, ziemlich klasse. Doch zurück zum Portal: Rechts in der Leiste verweisen Ranglisten auf die meistgelesenen Artikel, auf Community-Diskussionen, West-Teams der Bundesliga und ihren Tabellenplatz oder eine Tag-Cloud. Wobei wir schon beim nächsten Punkt wären: der Community.
Wohl kaum eines der großen Online-Portale wäre ohne Community so schnell und dauerhaft gewachsen. Die Registrierung in diesem Fall ist erfreulich einfach: Usernamen wählen, E‑Mail-Adresse angeben, Passwort, Sicherheitsabfrage, das war’s. Kurze Zeit später kommt eine Mail mit der Bestätigung, schon kann man loslegen. Das haben bisher auch schon einige User getan, das Portal erfreut sich wohl ganz angenehmer Zugriffszahlen. Dazu tragen sicherlich auch die vielen Karten bei, die der Westen überall einsetzt. Jede Nachricht wird per Geo-Tagging verortet, dazu lassen sich alle aktuellen News aus einer bestimmte Umgebung anzeigen. Mit dieser so konsequent eingesetzten Technik dürfte sich der Westen so schnell die Butter nicht wieder vom Brot nehmen lassen.
Gut gelöst und nutzerfreundlich
Hier setzt auch die lokale Nachrichtenstruktur des Westens an: Alles lässt sich nach Orten filtern, jeder Nutzer kann eine Favoritenliste mit seinen »Lieblingsstädten« anlegen, es gibt für jede noch so kleine Metropole News-Feeds und Newsletter, all das wirkt gut gelöst und wirklich nutzerfreundlich.
Man konnte zurecht viel erwarten nach über einem halben Jahr Verspätung. Man durfte auch gespannt sein, ob es klug war, sich eine Bloggerin als Online-Chefin einzukaufen. Beides aber scheint sich zu bewähren. Das Portal wirkt stimmig, es scheint — bis jetzt — alles zu funktionieren (allein davor muss man den Hut ziehen), die Investition könnte ein Erfolg werden. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Katharina Borchert nicht gerade übermäßig viele Vorschusslorbeeren bekommen hat, ein tolles Ergebnis. Bleibt zu hoffen, dass die Redaktion das so saubere Design nicht im Laufe der Jahre zumüllt. Es wäre schade um die viele Mühe und das teure Geld.