Keine Frage, das Internet hat so manche Branche in den vergangenen Jahren mächtig durcheinandergewirbelt — allen voran die Musikindustrie. Zunächst von Raubkopierern gepiesakt, war es vor allem Apples iTunes-Store, der die Nutzer weltweit dazu brachte, auch für digitale Musik wieder Geld auf den Tisch zu legen. Wie David Carr in der New York Times schreibt, ist das Geschäft der großen Labels zwar um einiges kleiner geworden, doch seien sie schließlich immer noch im Geschäft. Auch dank Steve Jobs. In seinem Artikel «Let’s Invent an iTunes for News» schreibt Carr weiter: «Diejenigen von uns, die im Nachrichtengeschäft sind, können wohl kaum für die Hoffnung getadelt werden, jemand wie er käme des Weges und würde unser Geschäft mit dem selben Trick ruinieren: Indem er die Millionen Nutzer, die ihre Nachrichten jeden Tag umsonst bekommen, davon überzeugt, dass es Zeit ist, dafür zu zahlen.»
Was Carr hier anstößt, ist die lange schwelende Debatte darüber, wie Nachrichten im Internet bezahlt werden können. Dafür zitiert er unter anderem den Telekommunikationsanalytiker Craig Moffett mit den Worten, die Ansicht, die enormen Kosten für echte Berichterstattung könnten von Werbebannern am Seitenrand, einer Google-Suchbox oder Werbeteasern vor Nachrichtenvideos abgesichert werden, sei auf den ersten Blick idiotisch. Und Carr macht gleich noch ein zweites Fass auf, indem er das, was in Deutschland gerne Bürgerjournalismus genannt wird, kurzerhand abwatscht. Aufhänger für ihn ist ein Artikel von Michael Hirschorn im «Atlantic», in dem dieser nicht nur so «töricht» ist, das Ende der New York Times vorherzusagen, sondern gleich auch noch nachschiebt, es sei gar kein so großes Ding, dass Tweets und Blogs in der Berichterstattung etwa aus Mumbai oder New Orleans eine journalistische Lücke füllen. Carr kontert, wie Journalisten gerne kontern und verteidigt seine Times und ihre journalistischen Anstrengungen. Diese würden nicht durch eine Avantgarde unbezahlter Content-Lieferanten ersetzt. Punkt.
Auch für David Carr scheint es nur Schwarz oder Weiß zu geben. Er würde die Haltung, dass Informationen und Inhalte von professionellen Anbietern umsonst sein müssen, gerne aus der Welt schaffen. Das jedoch dürfte nicht einmal der sonst so mächtigen New York Times gelingen. Steve Jobs, schreibt er, habe Musik anders gesehen, als etwas, mit dem sich iPods und iPhones verkaufen lassen, was zwar der Musikindustrie nicht geschmeichelt, jedoch die Nutzer dazu gebracht habe, für sie zu bezahlen. Und kaum hatte Carr dieses Ding hier gesehen, glaubte er, die Lösung gefunden zu haben. Ein kulttaugliches Spielzeug mit großem Display würde ja bald kommen. Nun brauche man nur noch das passende Geschäftsmodell. Ein iTunes für Nachrichten eben.
Kein Wunder, dass Carrs Artikel prompte Reaktionen nach sich zieht. Und so antwortet Jemima Kiss im Guardian unter der Überschrift «iTunes für Nachrichten? Das ist das Letzte, dass die Zeitungsbranche brauchen kann». Sie bezweifelt alleine schon die Tatsache, dass die Musikindustrie nur durch iTunes und iPods bereits einer Rettung nahe wäre. Denn den Löwenanteil hat ja Apple abgegriffen, die Labels haben es einfach verpasst, selbst Lösungen anzubieten. Sie bezweifelt jedoch auch, dass die Nachrichtenbranche es besser hinbekommen könnte. In dieser Branche, so schreibt sie, seien die Chefetagen immer noch nicht bereit, in Innovationen und neue Ideen zu investieren, die sie aus der Misere befreien könnten. Ein Punkt an der Misere aber dürfte sein, dass die gedruckte Tageszeitung allein durch ihre Optik und Haptik einen ideellen Wert besitzt, den Online-Nachrichten per se nie haben können. Das allerdings durch ein entsprechendes Gadget wettmachen zu wollen, dürfte zu kurz gedacht sein. Und eine praktikable technische Lösung à la iTunes, um Nachrichten zu vertreiben, gäbe es bereits. Sie nennt sich Feedreader, setzt aber eben leider (noch) voraus, dass die Inhalte kostenlos abgerufen werden. Ein weiterer Unterschied zwischen Musik und Nachrichten, den Carr vergisst ist, dass Musik etwas Dauerhaftes ist, dass ich (bei den meisten Platten) immer und immer wieder hören möchte. Doch nur wenige Nachrichten werde ich mehr als einmal lesen, gute Reportagen oder zu komplizierte Artikel einmal ausgenommen. Und so schreibt Jeff Jarvis auf Buzzmachine auch, Informationen seien eben keine Kunst.
Dass das Internet schon in wenigen Jahren die gedruckte Tageszeitung ablösen wird, steht für mich fest. Print wird sich mit Magazinen, Wochenzeitungen und hintergründigen Tageszeitungen halten können — alles andere wäre für mich eine Katastrophe —, die aktuelle, schnelle Berichterstattung aber findet online statt. Wie das zu finanzieren ist, wird tatsächlich die einzige große Frage sein. Rein werbefinanziert, wie etwa bei news.de? Teils quersubventioniert, wie bei vielen Regionalzeitungen? Oder werden die Leser ebenso wie für das Zeitungsabo auch für Online-Nachrichten zahlen? Breitband fügt dazu an, gerade Carr «hätte sich […] auf das Scheitern von TimesSelect, dem kostenpflichtigen Online-Angebot der New York Times, besinnen müssen. Der Paid-Content Bereich für Leitartikel und Kolumnen wurde 2007 wieder entfernt, nachdem die Online-Nutzung signifikant abnahm.» Ich denke, je mehr Seiten ihre Inhalte künftig kostenlos anbieten, desto schwerer wird es für Paid Content. Und das, obwohl es erstaunlich ist, wie viel Geld Internetnutzer für Services wie Xing, flickr (Pro), Online-Pokern, Fotodatenbanken, Online-Rollenspiele et cetera ausgeben. Dazu kommt: Je wichtiger der Anzeigenmarkt im Internet wird (Und nach Analysen wird er sich beispielsweise in den USA bis 2012 verdoppeln, auch deshalb, weil er dem Printkonkurrenten in Sachen Flexibilität und Zielgruppengenauigkeit bereits jetzt um Längen voraus ist.), desto einfacher wird es auch, alleine mit diesen Einnahmen guten Journalismus zu machen.
Die Medienkonzerne sollten, wie Kiss schreibt, anfangen, wie Startups zu denken. Ihr Problem sei der Druck, der durch ihren Anspruch entsteht. Je größer der Erfolg etwa von kleinen Blogs sei, desto kleiner werde die Relevanz großer Marken. Dass auch hier eine Öffnung und gleichzeitig eine Vernetzung funktionieren kann, zeige das Blog «AllThingsD», das zwar selbständig arbeitet, aber unter der Dachmarke des Wall Street Journal entsteht. Früher wurden die Zeitungen davor gewarnt, Radio und Fernsehen würden sie verdrängen. Zum Teil ist das auch passiert. Dann kam das Internet, die Warnung wurde wiederholt, und bald wird es wohl soweit sein, dass Online die Zeitungen ausgestochen hat. Daher sollten sich die Printverlage von dem Gedanken verabschieden, mit Online mithalten zu müssen und damit beginnen, ihr künftiges Terrain abzustecken, sich Strategien zurechtzulegen und ihre Profile zu schärfen. Sonst werden in diesem Bereich Titel wie «Die Zeit» bald Monopolstellung haben. Und das wäre, trotz aller Qualitäten der Hamburger Wochenzeitung, ein Armutszeugnis für die Branche.