Woher wir uns denn nun wieder kennen würden, fragte uns — als ich vor einigen Jahren auf Facebook die Freundschaftsanfrage einer Bloggerin annahm, die ich bis dahin nur online kannte — eine gemeinsame Freundin. Ihre Antwort war so spontan wie einfach wie schön: »Digital Sympathy«. Seit diesem Tag liebe ich diesen Begriff, er beschreibt wie kein zweiter, dass es Menschen gibt, bei denen die digitalen Spuren genügen, um sie zu schätzen oder zu mögen, um eine Verbindung zu ihnen aufzubauen — das, was sie in ihr Blog schreiben, was sie auf Facebook posten oder wie ihr Avatar aussieht zum Beispiel. Dieses Phänomen gilt für beinahe alle Netzwerke, auf Twitter aber haben die Menschen ganz besonders interessante Verhältnisse untereinander — ja, vielleicht kann man sogar von Beziehungsstrukturen sprechen. Auf den ersten Blick mögen das alles lose Bindungen sein, auf den zweiten aber entdeckt man die Feinheiten. Jede_r auf Twitter spielt in diesem riesigen Netzwerk seine Rolle, und die Meisten gleich mehrere. Da gibt es Cliquen und Pärchen, Dreiecksbeziehungen und Trennungen, da gibt es die unerwiderte Liebe, die Stalker_innen und die Einsamen. Es gibt Alphatiere und Mitläufer_innen, Aktive und Passive, Selbstdarsteller_innen und Zuhörer_innen, es gibt Liebe und Streit, Freundschaft und Hass. Und noch viel mehr.
Die diesjährige re:publica war vor diesem Hintergrund für mich auch so etwas wie eine dreitägige Feldstudie, denn neben diversen Sessions und Terminen war eines meiner Vorhaben, Menschen zu treffen, die ich vorher nie gesehen hatte — außer auf Twitter. Dadurch entstehen großartige Situationen und ich hätte eigentlich nichts lieber getan, als mich selbst dabei zu beobachten, wie ich gefühlt 30 Mal »Hallo« sage. Da gab es einschüchternde Momente, etwa, als der drölfzig Meter große @silvestah laut »Nooaaiin!!!« brüllte und noch größer wurde, nachdem ich meinen Namen genannt hatte. War dann aber doch eine positive Reaktion. Da gab es die Momente, in denen Twitter_innen vor mir standen, die ich schätze, vielleicht auch mehr, von denen ich aber weiß, dass sie mir nicht folgen und die demnach mit meinem Namen auch nichts anfangen können und wollen. Da heißt es dann aushalten, stehenbleiben, nicht weggucken, weiter trinken. Ganz anders als die ungeplante Begegnung mit @der_handwerk. Wir haben einfach da weitergemacht, wo wir auf Twitter aufgehört hatten. Daneben aber gab es auch die, die einen abblitzen lassen und Begegnungen, die nicht zustande kamen — weil einige großartige Twitter_innen Veranstaltungen wie die re:publica meiden etwa. Oder weil ich keine Lust habe, den ohnehin dauernd belatscherten @saschalobo als Fünfhundertste_r anzusprechen, nur um ihm zu sagen, dass sein Vortrag ziemlich gut war. Oder weil jemand, den ich schon ein paar Mal getroffen habe, drei Meter vor mir steht und mich nicht erkennt — und ich, halb aus Trotz, halb aus Verärgerung, diese drei Meter nicht überbrücken kann und will. Es gab Begegnungen wie die mit der gehörlosen @einaugenschmaus, bereichernd und ernüchternd zugleich, weil ich die Gebärdensprache nicht beherrsche und es da, wo wir uns getroffen haben, viel zu laut war. Und die mich zur Begrüßung am nächsten Tag trotzdem kurz umarmte und ich das Gefühl hatte, wir mögen uns irgendwie. Es gab Treffen, die ich schon so lange vorhatte, mit @notquitelikeB etwa, dessen Blog ich viel zu lange schon nicht mehr gelesen habe, oder mit @kixka, bei der die erste Begegnung auf Facebook etwas — sagen wir — unglücklich verlaufen war. Und noch meinen Enkeln erzählen werde ich von dem Moment, in dem ich @HilliKnixibix traf und wir beide fröhlich glaubten, die dicksten Twitter-Freund_innen zu sein, obwohl wir uns schon seit einiger Zeit nicht mehr folgten — warum, konnten wir auch nicht mehr rekonstruieren.
Darüber hinaus ist dieses fremde Menschen treffen immer ein Test für die eigenen Erwartungen und Vorurteile. In vielen Fällen decken sich zwar — das erklärte Kixka sehr schön in ihrer Session — das Online- und das Offline-Ich eines Menschen zu einem großen Teil, doch wer soll das vorher einschätzen können? Manchmal erweisen sich die Arschlöcher dann als Arschlöcher und die Guten als die Guten, manchmal aber erlebt man auch eine Überraschung. Da entpuppt sich die im Netz empfundene Arroganz als Unsicherheit, die Schüchternheit als Zurückhaltung und der Witz als Tollpatschigkeit. Liebenswerte Eigenschaften treten zu Tage und unangenehme in den Hintergrund, und immer wieder trifft man auf Menschen, die ohne Twitter wohl nie in den eigenen Fokus geraten wären. Ohne zu pathetisch werden zu wollen, verbindet Twitter in solchen Momenten, es fungiert als soziale Brücke.
Und: Twitter beweist in solchen Momenten ganz schlicht, dass es Wirklichkeit ist. Das »angeblich Virtuelle, Algorithmische und Raumlose« ist, wie @diplix in seiner Session »Soylent Green, Äh, The internet is people!« ganz richtig erklärte, viel realer und einflussreicher, als viele dachten und denken. Oder, anders und mit Felix Worten gesagt: »Das Internet besteht aus Menschen.« Nach diesen drei Tagen in Berlin bin ich darüber noch viel glücklicher als vorher schon. Und die Bloggerin, mit der mich die »Digital Sympathy« verbindet, habe ich auch endlich getroffen.
P.S.: Ja, es gibt auch »Digital Antipathy«.
P.P.S.: Nein, ich nenne keine Namen.
P.P.P.S.: All das wäre nur halb so schön gewesen, hätte das Team der re:publica nicht so unglaublich tolle Arbeit geleistet und eine so entspannte Atmosphäre geschaffen. Danke!
Dabei fällt mir auf, dass ich den @anninaluzie Account dringend mal updaten muss… Uiuiuiui!
Ja, das habe ich die letzten Tage auch schon angefangen. Ist ein bisschen wie Wohnung aufräumen, dieses Accounts ordnen und löschen. Sehr wohltuend!
Hier, ich schon wieder.
Nur mal reingucken. Kommentare mit Linkspamming versauen. So tun, als würde ich mich nicht angesprochen fühlen auf 27 verschiedene Weisen. Hamster dalassen. Und eine Entschuldigung dafür, dass ich nie irgendwo hingehe. Und ein «Ich Sie auch». Sie wissen schon.
Ach, Herr Trotzdendorff. Ohne Sie wäre das hier mit dem Internet alles nichts. Echt.
Ich freu mich, sehr. Und der Hamster fühlt sich pudelwohl (Geht das?) in meinem Ärmel …
Und Du meinst also, dass Deine Enkel noch wissen werden was Twitter war oder sich gar irgendwie dafür interessieren könnten, was Opa dort getrieben hat? :-)
Haha, das stimmt. Wünschen würde ich mir das vielleicht. Zumindest heute.
Kommt wohl drauf an, was Du noch alles reinschreibst — und wie gut die twitter-Suche in Zukunft wird. Im Augenblick biste ja noch von deren Unfähigkeit geschützt…
Möge Technik immer ein Stück weit unvollkommen bleiben. ;-)
Ich finde es auch immer sehr spannend Leute zu treffen, die ich zwar schon lange kenne, aber noch nie vor mir stehen hatte. Z.B. habe ich letztes Jahr jemanden zum Kaffee eingeladen, die ich schon seit Ewigkeiten und aus der Zeit als ich noch bei myspace war, kannte. War sein großartiger Nachmittag.
Ist «digitales Mitleid» wirklich eine so passende Umschreibung, wenn es um «schätzen» und «mögen» geht?
Scheint eine Frage des Wörterbuchs zu sein …
:-) Ich hab› mich da an meine Englischlehrerin gehalten. «Sympathy» war eins ihrer Lieblingsbeispiele für fälschliche 1:1 Übersetzungen.
Dürfte wie in vielen Fällen im jeweiligen Kontext zu entscheiden sein.