Leben
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Vom Glanz der Dinge

Nahaufnahme eines iPhones

Ich habe kein beson­ders gesun­des Ver­hält­nis zu meinem Besitz. Und damit meine ich nicht, dass ich zu viel hätte, dass mich Kon­sum stresst oder unglück­lich macht oder ich immer mehr und immer mehr haben will — oder meinen Besitz radikal reduzieren. Es ist eher ander­srum: Ich bin unge­sund für die Dinge, die ich besitze.

»Unused objects are igno­rant; only the ones that have been put to use, that have trav­eled, that have been tossed around have accu­mu­lat­ed knowl­edge. That knowl­edge and famil­iar­i­ty, if it’s worn prop­er­ly, can make an object desirable.«
Khoi Vinh: »Designed Dete­ri­o­ra­tion«

Ich glaube, es war mein siebter Geburt­stag, an dem ich von meinen Eltern ein Mod­ell­flugzeug geschenkt bekam. Nicht eins von denen zum Anmalen, die dann im Regal zwis­chen Kinder­büch­ern und Lumibär ver­stauben. Nein, eins mit Sty­ro­por-Flügeln, eins, das wirk­lich fliegen kon­nte — groß und schlank und für einen sieben­jähri­gen Jun­gen faszinierend schön. Vielle­icht ist es kein Zufall, dass es ein Foto von mir gibt, dass genau an diesem Geburt­stag gemacht wurde.

Auf diesem Foto ste­he ich bei uns im Garten, auf der Treppe zur Ein­fahrt — an den Füßen grüne Gumm­stiefel und in der recht­en Hand das fer­tige Flugzeug. Es ist das let­zte Foto, das uns zusam­men zeigt. Wenige Minuten später ist mein Geburt­stags­geschenk kaputt, abgestürzt gle­ich neben der Treppe, auf der ich da ste­he — im Blu­men­beet mein­er Mutter.

Umgekippt, hängengeblieben, runtergeschmissen

Es ist wohl so, dass dieser siebte Geburt­stag bis heute wie kaum ein­er ander­er Tag mein Leben bes­timmt. Mit neuen Din­gen jeden­falls hat­te ich seit­dem — soweit ich mich erin­nern kann — nicht beson­ders viel Glück. So wie es dem Mod­ell­flugzeug an jen­em Tag ergan­gen ist, erg­ing es auch Fahrrädern und Jack­en, Note­books oder Handys. In der Regel verge­ht keine Woche, bis ich solche Gegen­stände durch Kratzer, Risse und Beulen eingewei­ht habe — umgekippt, hän­genge­blieben, runtergeschmissen.

»Ein funkel­nagel­neuer Gegen­stand strahlt in makel­losem Glanz. Doch mit der Zeit begin­nt er sich mehr und mehr von seinen Gegen­stück­en gle­ichen Fab­rikats zu unter­schei­den. Vielle­icht erhält er eine Delle, wir laden ihn mit Erin­nerun­gen auf und er set­zt Pati­na an. Er wird indi­vidu­ell, bekommt Charak­ter und somit eine beson­dere Schönheit.«
Wan­da Proft: »Lobge­sang auf die Patina«

Was auf den ersten Blick nach ein­er ständi­gen Ent­täuschung klingt — und ich erin­nere mich noch gut daran, dass mein siebter Geburt­stag wirk­lich kein schön­er Tag war —, hat bei genauerem Hin­se­hen einen entschei­den­den Vorteil: All diese Kon­sumgüter und Sta­tussym­bole ver­lieren durch einen kleinen Makel etwas von ihrer selt­samen, beängsti­gen­den Aura. Der erste Kratzer im Fahrrad tut weh, aber es ist ganz sich­er nicht der let­zte. Und wer ein Smart­phone nicht nur als Luxu­sob­jekt begreift, son­dern vor allem als Gebrauchs­ge­gen­stand, weiß um die Abnutzungser­schei­n­un­gen und Kratzer, die unweiger­lich im Laufe der Jahre dazukommen.

All das wiederum führt zu einem gesun­den Ver­hält­nis zum eige­nen Besitz. Der zweite Kratzer ist schon nicht mehr so schlimm, und ab dem drit­ten sind solche Gebrauchsspuren kein Makel mehr, sie geben den Din­gen so etwas wie Pati­na — sie geben ihnen Geschichte. Vielle­icht liegt es an dieser Pati­na, dass ich ger­ade mein Auto über alles liebe, den Gegen­stand mit der meis­ten Pati­na. Mein Auto hat Charakter.

»Die schönsten Dinge sind oft jene mit Patina«

Es ist selt­sam, wie unter­schiedlich wir dabei mit den Gegen­stän­den umge­hen, die uns umgeben. Lange Jahre habe ich Büch­er beispiel­sweise behan­delt wie rohe Eier. Esel­sohren in den Seit­en wären mir nie in den Sinn gekom­men, Kaf­feefleck­en habe ich sorgsam abgewis­cht, und die Fal­ten im Buchrück­en, die beim Lesen unweiger­lich entste­hen, habe ich so lange es irgend­wie ging, zu ver­mei­den ver­sucht. Erst spät habe ich gel­ernt, dass all diese Fleck­en und Esel­sohren und Fal­ten zu einem guten Buch dazuge­hören. Was neu aussieht, ist unge­le­sen. Was unge­le­sen ist, kann so span­nend nicht sein.

»Zu lange haben wir in der Erwartung gelebt, dass alles immer per­fekt und neu ausse­hen muss, statt Dinge in Würde altern zu lassen. Wir schmeis­sen immer alles gle­ich weg, wenn es ein biss­chen altert oder kaputtgeht.«
Ger­hard Knauer: »Die Schön­heit des Unvollkommenen«

Bei anderen Sachen allerd­ings ist genau das Gegen­teil der Fall. Während viele Men­schen ihre Sneak­er heute am lieb­sten so ausse­hen lassen als seien sie unge­tra­gen, gab es immer schon Gegen­stände in meinem Leben, die ich so schnell wie möglich habe altern lassen. Ein neues Paar Chucks oder Doc Martens mussten erst mal ein paar Nach­mit­tage im näch­st­gele­ge­nen Sand­kas­ten einge­tra­gen wer­den — solange zumin­d­est, bis die Spitze der Chucks nicht mehr weiß und das Led­er der Docs etwas weich­er gewor­den war und Fal­ten bekom­men hatte.

Diese Gebrauchsspuren zu akzep­tieren, sie als Teil des gemein­samen Wegs zu begreifen, den wir mit unserem Besitz gehen, hil­ft vielle­icht dabei, nicht alles, was nicht mehr neu aussieht, gle­ich auszu­sortieren. »Die schön­sten Dinge sind oft jene mit Pati­na. Ein altes Holzbrett, das über Jahrhun­derte seine Form bekom­men hat, kann mod­erne Kun­st sein. Man muss es um jeden Preis ver­mei­den, die Plat­te glatt zu hobeln«, sagt der Kura­tor und Kun­st­samm­ler Axel Ver­vo­ordt. Und Ben­jamin Black­benz schrieb im Mono­qi-Blog (Artikel lei­der offline) vor eini­gen Jahren:

»Eine gus­seis­erne Pfanne, eine Bialet­ti oder ein Paar Qual­itäts-Led­er­schuhe […] set­zen mit stois­ch­er Gelassen­heit Pati­na an. Bere­itwillig lassen sie zu, dass wir ihren Charak­ter for­men. Jede Beule, Delle, Macke und Kratzer in ihrem lan­gen Leben wird dank­end begrüsst — denn dafür wur­den sie ja schließlich gemacht: um benutzt zu wer­den. Und Dinge wie Kof­fer und Jeans ent­fal­ten ihre Schön­heit meist ers nach Jahren der Ver­wen­dung. Aber wie ist das bei Mac­Book, Smart­phone und Co.? Wäre Pati­na hier wün­schenswert oder über­haupt möglich? Besitzt ein zerkratztes und ges­plit­tertes iPhone noch Charme oder müssen diese Gebrauchsspuren erset­zt werden?«

Noch vor weni­gen Jahren hätte ich diese Frage mit einem entsch­iede­nen »Ja« beant­wortet. Heute sehe ich das anders, und wenn ich mir mein neues Smart­phone so angucke, das noch so sehr glänzt, dass man es kaum in die Hosen­tasche steck­en mag, freue ich mich zwar nicht auf den ersten Kratzer, den es schon bald ganz sich­er abkriegen wird. Aber auf den zweit­en, auf den freue ich mich irgend­wie. Wie Khoi Vinh in seinem Artikel »Designed Dete­ri­o­ra­tion« schreibt: »An object should be designed not just for sale, but also for day to day wear and tear. With use, this iPhone should get more attrac­tive, should become like a trust­ed and insep­a­ra­ble friend.«

12 Comments

  1. Kacper says

    Genau so ist es.

    Deswe­gen finde ich es auch sehr schön, dass Apple in dem kür­zlich gelaufe­nen Spot für die Mac­Book Air auch angekratzte Geräte mit deut­lichen Gebrauchsspuren zeigt:

    • Der neue Glanz und die Unversehrtheit sind ja auch Utopi­en. Von manchen ver­ab­schiedet man sich leichter, bei anderen fällt es schw­er­er. Schön­er Spot übri­gens. Passt gut zur aktuellen t3n. ;-)

    • Florian Schoen says

      Schön­er Ein­blick in die Psy­che. Bei mir geht das fast ins Extrem. Wenn ich etwas neues habe, dann will ich es erst gar nicht benutzen, bis ich noch eins von der Sorte besitze. Ein Back-Up prak­tisch. Falls eins kaputt geht.

  2. Komis­ch­er Umgang eigentlich. Durch Kratzer und Mack­en wer­den Indus­triepro­duk­te zu «meinem eige­nen», während selb­st­pro­duziertes genau dann gut ist, wenn es gut ist. Bei ein­er selb­st­genäht­en Hose würde nie­mand sich über den Riss freuen, beim eige­nen Auto erzählt man dage­gen stolz von jedem Dallen. 

    Span­nend, wie das «Kaputtmachen» der indi­vid­u­al­isierende Prozess eines indus­triell gefer­tigten Objek­ts ist. 

    Aber… eigentlich wollte ich ja nur schreiben, wie gut dieses Artikel geschrieben ist. Lob, und so.

    • Auch bei den Hosen ist ja das Zer­stören dur­chaus Teil der Mode — siehe Jeans. Aber die sind dann eher nicht selb­st­genäht stimmt. Und: danke, freut mich. :-)

  3. kaktuskäuzchen says

    Wie ist das mit den » Gebrauchsspuren » bei Men­schen ?? :-) Wäre vielle­icht auch mal inter­es­sant, darüber nachzu­denken … Dein 7. Geb. , — ich kann mich nicht mehr an ihn erinnern…

    • Ich glaube, da ist das ganz ähn­lich. Manche hal­ten sie für Zeichen von Charak­ter, manche ver­suchen sie mit allen Mit­teln zu ver­hin­dern und zu reparieren. ;-)

  4. Schwesterherz says

    Ich liebe Dinge mit Pati­na und musste auch erst nach und nach begreifen, dass Gebrauchs­ge­gen­stände dadurch nicht abgew­ertet wer­den. Oft habe ich allerd­ings das Gefühl, dass viele (kün­stliche) Mate­ri­alien nicht wirk­lich schön alt wer­den und schnell nur noch schäbig ausse­hen. Net­ter Post :-)!

  5. Schwesterherz says

    P.S.: Zur Zeit gibt es ja eine große Nach­frage nach shab­by shic. Vielle­icht eine Sehn­sucht nach dem Unvollkommenen?

    • Stimmt, und das bet­rifft ja nicht nur Gegen­stände, son­dern und ger­ade auch Architek­tur. Das Wis­sen darum, welche Mate­ri­alien Pati­na ver­tra­gen und welche nicht, ist lei­der nicht in jed­er Branche gerecht verteilt. ^^

  6. Na, unter dem Blick­winkel wirkt ein iPhone wie ein Gegen­stand, der nicht so gut altern kann. Das Teil soll ja sil­bern glänzen. Und Glanz mit Pati­na ist … irgend­wie glan­z­los. Eher oll als cool. Meine braune alte Led­er­taschen hinge­gen verträgt alters­be­d­ingten Charak­ter, nein sie wird dadurch erst besser.

    • Bei meinem let­zten iPhone hat­te ich dur­chaus das Gefühl, dass es das kann — in Würde altern. Mal von den Kratzern und Beulen abge­se­hen, hat sich da allmäh­lich an den Kan­ten die Farbe abgelöst, die Rück­seite wurde stumpfer, während das Dis­play, und das meinst Du vielle­icht, immer noch aus­sah wie neu. Für mich sah das schon irgend­wie gut aus.

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