Macht & Geld
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»Ich bin kein Vandale. Ich bin ein Pirat«*

Vier Tage vor der Europawahl wird langsam klar, dass es die Poli­tik vie­len Wäh­lern ziem­lich leicht gemacht hat in diesem Jahr. Zu viele Ohrfeigen wur­den aus­geteilt, zumin­d­est an die, die das Inter­net als ern­sthaftes Medi­um betra­cht­en. Zumin­d­est an die, die mit dem Inter­net, im Inter­net, für das Inter­net leben und arbeit­en. Eine Poli­tik, die mit Mit­teln aus analoger Zeit ver­sucht, sich in ein­er dig­i­tal­en Zeit zu behaupten und sie mit zu gestal­ten, mag dem einen die heimelige Sicher­heit bieten, die er von sein­er Sitzecke gewohnt ist, vie­len aber erscheint sie als Kriegserklärung.

Die gute Nachricht: Es gibt Alter­na­tiv­en. Die schlechte Nachricht: Es scheint nicht so ein­fach zu sein, sie auch tat­säch­lich als solche zu erken­nen. Clemens Boms­dorf beispiel­sweise schrieb in der Zeit gestern über die Piraten­partei in einem Stück mit der Über­schrift «Wenig Ziele, viele Anhänger» etwas von einem «monothe­ma­tis­chen Pro­gramm». Mit Sicher­heit nicht ganz falsch, aber eben auch nicht ganz richtig. Oder zumin­d­est zu kurz gegrif­f­en. Ein Leserkom­men­tar zu diesem Text aber legt noch eine Schippe drauf: «Diese Partei kommt in Schwe­den an die Regierung und set­zt ihre drei Punk­te durch. Warum sollte sie dann wiedergewählt wer­den? Wenn die Punk­te Daten­schutz, Überwachung und Urhe­ber­recht bei den etablierten Parteien angekom­men sind (und zwar in meinem Sinne), brauch ich die Pirat­en nicht mehr zu wählen.» Die Angst vor Verän­derung kon­nte man in den ver­gan­gen Monat­en ja des öfteren beobacht­en, dass aber jemand der­art blind jede Form der Verän­derung verneint … Als gebe es keine Entwick­lung, als seien Prob­leme poli­tisch endgültig lös­bar. Dif­fi­cile est sat­u­ram non scribere.

Dabei klingt das Pro­gramm der Piraten­partei doch eigentlich so ver­lock­end. Da geht es um das Urhe­ber­recht, die Förderung der Kul­tur, um die Wahrung von Pri­vat­sphäre und Daten­schutz, die Trans­parenz des Staatswe­sens oder Open Access. Klangvolle Begriffe vor allem für alle, die die Debat­ten im und um das Inter­net in let­zter Zeit ver­fol­gt oder mit­ge­führt haben. Doch was ist mit den anderen? Men­schen, für die das Inter­net auch 2009 nicht mehr ist als ein Pro­gramm auf ihrem Com­put­er? Die den Rech­n­er vielle­icht noch nutzen, um E‑Mails zu schreiben, Doku­mente zu tip­pen und ab und zu etwas zu googlen? Wo hat sich der Rest des Parteipro­gramms ver­steckt, wo bleiben Sozial- und Umwelt­poli­tik? Wo Wirtschaft und Bil­dung? Wie soll denn eine solche Partei regieren können?

Genau hier aber liegt die Kuh auf dem Eis. «Die Anti-Inter­net­partei von heute, ist die Anti-Gesellschaftspartei von mor­gen!», schrieb Michael See­mann gestern in seinem Blog. Ein Satz, der nicht nur wahr ist, son­dern für den in diesem Zusam­men­hang möglicher­weise auch der Umkehrschluss gilt: Die Inter­net­partei von heute ist die Gesellschaftspartei von mor­gen. Nicht zum ersten Mal würde sich aus ein­er oppo­si­tionellen Hal­tung her­aus eine Volkspartei entwick­eln, die rechtzeit­ig erkan­nt hat, welche Bedürfnisse das Volk von mor­gen haben wird. Poli­tik ist Arbeit an der Zukun­ft, jeden Tag aufs Neue. Oder, wie Dr. Udo Brömme immer gesagt hat: «Zukun­ft ist für alle gut!»

Doch was wird in eben dieser Zukun­ft aus ein­er Partei, die heute noch von sich sagt, sich in allen Punk­ten, die nicht zum Parteipro­gramm gehören, einem eventuellen Koali­tion­spart­ner unterord­nen zu wollen und zu kön­nen? Dass diese Frage sich nicht beant­worten lässt, erhöht vielle­icht sog­ar noch den Reiz der Piraten­partei, den Reiz ein­er Poli­tik, für die es noch Ver­trauen in das Poten­tial ein­er Partei braucht, die die Wahl noch zu einem ein Sprung ins kalte Wass­er macht. Vielle­icht war Poli­tik noch nie so unvorherse­hbar. Vielle­icht aber hat sie auch noch nie so viel Spaß gemacht. Und für all die, die jet­zt immer noch Angst haben vor den bösen Pirat­en: An ein­er neuen Oppo­si­tion wird unsere Gesellschaft nicht zugrunde gehen. Aber verän­dern kann sie sich. Wodurch? «Die Net­zge­meinde ist wie die Piraten­partei. Auf wichtige The­men neben dem Inter­net will sie keine Antworten wis­sen», twit­terte pixolo­phie heute. Doch warum als Vor­wurf for­mulieren, was auch ein Kom­pli­ment sein kön­nte? Ist es nicht ein­fach pro­fes­sionell, nur solche The­men zu beack­ern, an denen man auch nah genug dran ist? Wohin es führt, wenn man Laien das Feld über­lässt, hat man nun lange genug beobacht­en können.

*Zitat aus Mon­key Island, © LucasArts

2 Comments

  1. Ich kann Deinen Argu­menten nahezu voll­ständig zustimmen.
    Die Kri­tiken der «Großen» Parteien gegenüber den kom­pak­ten Parteipro­gram­men der «Kleinen» wurde doch schon immer mit einem bemitlei­den­den Lächeln untermauert.
    Dass jedoch genau wegen der Konzen­tra­tion auf wesentliche Punk­te ein­er kleinen Partei die entsprechende Kom­pe­tenz zuzus­prechen ist, darf man dabei nicht vergessen.
    Und es ist vom poli­tis­chen Rand­bezirk nicht zwangsläu­fig zu erwarten, dass hier die große Poli­tik gemacht wird.
    Kleine Parteien waren schon immer das Salz in der Suppe, der Pfef­fer im Salat. Deswe­gen soll­ten kleine Parteien (nicht unbe­d­ingt alle!) ein Man­dat in den kleinen und großen Räten bekom­men, damit eben genau diese kom­pak­te Kom­pe­tenz in die Poli­tik Einzug erhält, die die Großen aus Macht- und Prof­it­gi­er oft nicht mehr zu haben scheinen.
    Eine Stimme ist nach Adam Riese immer noch mehr als keine.

    In diesem Sinne.
    CFK

  2. baltasar says

    Ich küsse sie für diesen wun­der­vollen Artikel!

    Die Grü­nen waren auch ein­mal eine Ein-The­men-Partei, warum geben wir der Piraten­partei nicht ein­fach Zeit zu wachsen?

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