Visionen
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Das Picasso-Chromosom

Der US-amerikanis­che Bio­chemik­er Craig Ven­ter baut in seinem Labor ein Kun­st-Chro­mo­som, meldet die Welt. Wie schick, kön­nen sich Eltern doch bald ihre eige­nen kleinen Michelan­ge­los oder Picas­sos zücht­en. Schöne neue Zeit.

Was wird das für eine fan­tastis­che Welt! Anstatt für einen hunds­gewöhn­lichen Erben entschei­den sich Eltern vielle­icht schon in weni­gen Jahren für einen Maler, einen Bild­hauer oder — bei entsprechen­dem Mut — für einen Per­for­mance-Kün­stler. Lässt sich vielle­icht sog­ar aus ver­schiede­nen Stil­rich­tun­gen wählen? Vielle­icht lieber ein wenig mehr Rokoko, wenn es ein Mäd­chen wird, Expres­sion­is­mus, falls der Nachkomme männlich ist? Eine Spur sozial­is­tis­chen Real­is­mus› für Kinder aus dem Osten, eine Prise Klas­sizis­mus für Sprösslinge adliger Eltern?

Mit ein biss­chen Glück aber dient die Erfind­ung Ven­ters nicht nur kün­fti­gen Gen­er­a­tio­nen, son­dern kann schon heute recht nüt­zlich sein. Wie schön wäre es doch, kön­nte man auch post­na­tal — also nach der Geburt — Men­schen mit dem Kun­st-Chro­mo­som impfen. Ganze Heer­scharen unbe­gabter Kün­stler ließen sich umpolen — endlich wür­den auch Zeitgenossen wie Jonathan Meese, Christoph Schlin­gen­sief oder Damien Hirst erträgliche Werke pro­duzieren. Jeden­falls, wenn sie ein­ver­standen wären mit der — sagen wir — Tal­ent-Ther­a­pie. Wären sie aber wahrschein­lich nicht.

Kunst würde Massenware, wertlos, beliebig

Denn jet­zt kommt der Hak­en an der Mel­dung. Gäbe es plöt­zlich nur noch begabte Kün­stler, hin­gen in den Gale­rien und Museen, über Sofas und in Trep­pen­häusern nur noch per­fek­te, atem­ber­aubende Werke, ver­löre der Kun­st­markt plöt­zlich seine ganze Dynamik. Kun­st würde Massen­ware, wert­los, beliebig. Und schließlich käme es dazu, dass Samm­ler und Galeris­ten nur noch die Stüm­per kaufen wür­den, die Einzi­gen, die noch etwas Beson­deres liefer­ten — Schund. Und so wür­den all die Meeses, Schlin­gen­siefs und Hirsts dieser Welt sich wohl mit Pin­sel und Spach­tel gegen das Kun­st-Chro­mo­som wehren.

Doch nein, ach, was müssen wir lesen in der Welt, wenn wir denn weit­er­lesen. Ven­ter hat ja gar kein Kun­st-Chro­mo­som geschaf­fen, auch, wenn die Welt das in der Über­schrift meldet. Denn im Text unter der Zeile ste­ht die Wahrheit: Es han­delt sich lediglich um ein kün­stlich­es Chro­mo­som. Ein klein­er, aber entschei­den­der Unter­schied. Schade eigentlich. Hätte span­nend wer­den können.

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