Musik
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Glotz nicht. Schüttel Dich!

Um über deutschen Hip-Hop zu sprechen, braucht es keinen Kul­turpes­simis­mus. Es braucht keinen melan­cholis­chen Rück­griff auf die Fan­tastis­chen Vier oder die Jaz­zkan­tine, und es braucht auch keinen moralis­chen Zeigefin­ger, erhoben in Rich­tung Berlin. Um über deutschen Hip-Hop zu sprechen und festzustellen, dass er nicht nur lebt, son­dern auch liebt, genügt ein Blick nach München. Und bevor sie jet­zt anfan­gen zu lachen und wegk­lick­en, lassen Sie sich überre­den weit­erzule­sen und Sie wer­den fest­stellen: Dieser Hip-Hop ver­dreht Köpfe.

Was so große Hoff­nung macht und den­noch wed­er in den etablierten Medi­en (mit Aus­nah­men) noch für die großen Radiosender eine gewichtige Rolle zu spie­len scheint, sind Nina Son­nen­berg alias Fiva, das Phan­tom-Orch­ester (beste­hend unter anderem aus Paul Reno und Rüdi­ger Lin­hof, Bassist der Sport­fre­unde Stiller) und ihr Album »Die Stadt gehört wieder mir«. Und eines vor­weg: Der einzige Wer­mut­stropfen an dieser Plat­te ist ihre mit 37 Minuten viel zu knapp ger­atene Länge. Davor aber ste­hen zehn unglaubliche Tracks — the­ma­tisch wie musikalisch wie textlich her­aus­ra­gend — und mit Fiva eine Musik­erin, die wirk­lich etwas zu sagen hat.

Für ihre Botschaften aber muss sie gar nicht weit über den Teller­rand guck­en, ihr genügt der Blick auf das eigene Leben, auf per­sön­liche, emo­tionale The­men. Und ihr genü­gen die kleinen Appelle, die kleinen sym­pa­this­chen Ansagen, und selb­st im Ver­gle­ich zum Vorgänger »Rotwild« kann man sagen: So viel »Ich«, »Du« und »Wir« im deutschen Hip-Hop war lange nicht mehr.

Dass diese Plat­te den­noch viel zu wenig wahrgenom­men wird, erstaunt vor allem, weil Nina Son­nen­berg inzwis­chen nicht mehr nur als Musik­erin, son­dern auch als Mod­er­a­torin im Radio oder für die Sendung »Der Mark­er« (inzwis­chen nicht mehr auf Sendung) beim öffentlich-rechtlichen Dig­i­talsender zdf.kultur Kar­riere macht. Sparten­fernse­hen, das sicher­lich, aber für einen Aufmerk­samkeitss­chub sollte es eigentlich reichen. Ger­ade für das am Fre­itag erschienene vierte Album aber zieht Fiva Energie und Wirkung aus noch etwas anderem: ihrer Erfahrung und Klasse in Sachen Poet­ry Slam. In Tracks wie »Dein Lächeln« gibt sie das Rap­pen fast voll­ständig zu Gun­sten der Rez­i­ta­tion auf, unter­legt von Stre­ich­ern und Gitar­ren und dadurch fast schon roman­tisch. Aus der Tat­sache, dass davor und danach jedoch vor­wärts drän­gende, treibende Tracks wie »Die Stadt gehört wieder mir« oder »Raus hier« zu find­en sind, zieht diese Plat­te ihren Rhyth­mus, ihren Puls, der in seinen Bann schlägt. Und manch­mal singt Fiva sog­ar — zumin­d­est ein wenig.

Anker und Ufer

Und immer wieder nimmt sich die 1978 geborene Münch­ner­in die Liebe vor, etwa in »Dein Lächeln«, ein­er ehrlichen und rühren­den Liebe­serk­lärung (»Es gibt da eine Sache, die ich so sehr an Dir schätze, durch Dich ändert sich der Blick auf alles, denn Dein Lächeln ver­dreht Köpfe. Die Welt wird wieder bunt, wenn ich die Augen öffne. Durch Dich ändert sich der Blick auf alles, denn Dein Lächeln ver­dreht Köpfe.«), oder in »Leucht­turm« (»Doch ich wäre gern Anker und Ufer und Hafen, an dem Du heut anlegst. Ich wär gern der Men­sch, der hier auf Dich wartet, bis Du endlich wieder an Land gehst.«), einem in Text und Beat gegosse­nen Stück Ver­sprechen. Und es sind auch die kleinen All­t­ags­geschicht­en, die Fivas Musik so hör­bar machen. Auf »Rotwild« war es zum Beispiel »Kleinkun­st«, mit dem Fiva in Gestalt von Hack­brett Schorsch, Melodie Mandy und Piano Joe all den Ama­teur- und Do-it-your­self-Musik­er_in­nen ein Denkmal geset­zt hat, auf »Die Stadt gehört wieder mir« ist es das stampfende »Glotz nicht«, in dem Josef zum Disko-Gott wird. Ein biss­chen Kleines Fernsehspiel im deutschen Hip-Hop.

Bei all dem zeigt Fiva Hal­tung, sie bezieht Posi­tion, nicht nur in Sachen Liebe, auch gegenüber der Mut­losigkeit und gegenüber ein­er Nor­ma­tiv­ität, die schon auf ihren ersten Alben The­ma gewe­sen ist. »Muli oder Men­sch« etwa oder »Der richtige Moment« appel­lieren an unser aller Selb­stver­ständ­nis, und das ohne moralin­saure Phrasen und vor allem ohne zu vergessen, dass Sprache auch hier mehr ist als nur Werkzeug. Sprache und somit auch Fivas Tracks sind klug und witzig, sie sind hin­ter­sin­nig, aber nicht über­laden, sie sind aber auch unglaublich gute Musik und vor allem tanzbar.

Und so nimmt uns Fiva auch mit diesem Album wieder an die Hand, mit einem Hip-Hop, der Mut machen kann und aufweck­en, der trösten kann und zum Lachen brin­gen (Wer das live erleben will, find­et die Tour­dat­en übri­gens hier). Und wie heißt es bei Fiva so schlicht? »Du bist erst fer­tig, wenn du fer­tig bist.« Da hoffe ich doch, dass sie es noch lange nicht ist.

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