Schon vor mehr als zehn Jahren, in der Schule, wussten wir: Aus dem Roland, da wird mal was. Was ganz Großes, mit Karriere und Fans und allem Schnickschnack, der dazugehört. Denn Roland konnte singen. Und heute? Heute hat er eine Band, die so heißt wie er (Voltaire), ein eigenes Plattenlabel und noch im März erscheint in Kooperation mit PIAS («Play It Again Sam») das zweite Album «Das Letzte Bisschen Etikette». Dann gehen Voltaire auf Tour. Unser erstes Gespräch seit der Schulzeit. Ein Interview.
Trotzendorff: Heute morgen hast Du laut Twitter noch nach Inspiration gerungen. Inzwischen gefunden?
Roland Meyer de Voltaire: Geht. Ich war in den letzten Tagen ein bisschen krank und es bleibt einem nicht so wahnsinnig viel Inspiration, wenn man sich den ganzen Tag nur ein paar Filme reinziehen kann und sich hier und da mal um ein paar Sachen kümmert. Es bleibt ja doch viel administrativer Kram an einem kleben, wenn man eine Band hat.
Es gab da mal diesen berühmten Fragebogen aus dem FAZ-Magazin. Mit zwei Fragen daraus wollte ich eigentlich anfangen.
Alles klar.
Deine gegenwärtige Geistesverfassung?
Ein bisschen freudig angespannt. Ein Release ist immer wie eine Klausur, für die du ein paar Jahre gelernt hast. Du hast diese Multiple-Choice-Fragen: Welche Single nehmen wir, welches Aushängeschild? Du weißt aber am Ende gar nicht, ob du überhaupt die richtigen Antworten parat hast. Und dann ist da noch die Öffentlichkeit, die plötzlich kommt. Man hat Ewigkeiten alleine an dem Kram gebastelt und jetzt guckt da jeder drüber und schreibt irgendwas dazu.
Welche natürliche Gabe möchtest Du besitzen?
Eine schnelle Auffassungsgabe fände ich toll, dass ich mir ganz schnell einfach alles mögliche merken kann.
Tatsächlich haben wir schon in der Schule immer gedacht: «Aus dem Roland, da wird mal was.» Hast Du damals selbst daran geglaubt?
Ich wusste ja schon relativ früh, dass da irgendwas ist, was ich kann. Wie weit mich das bringt, konnte ich nicht einschätzen. Ich war immer skeptisch und auch immer eher Pessimist. Aber ich kann gar nicht so viel Pessimist gewesen sein, sonst hätte ich das nicht durchgezogen. Aber ich habe mit mir gerungen, so wie ich es auch heute immer noch tue. Es ist so gekommen, wie es ist, und ich hoffe, es geht so weiter.
Kannst Du Dich noch an diese Sparkassenwerbung erinnern? Mein Haus, mein Auto, mein Boot?
Ja, klar.
Wenn wir das heute spielen würden: Von welchen drei Dingen würdest Du Fotos auf den Tisch legen?
Ich würde keine Fotos auf den Tisch legen. Ich würde einfach von dem erzählen, was ich erlebt habe. Da geht es ja um materielle Werte. Und die gewinnt man nicht so viel mit Musik, wenn man nicht gerade den totalen Smash-Hit hat. Aber man erlebt viel, man bereichert sich, man lernt viel über das Leben, das Auftreten. Ich würde mich einfach unterhalten.
Vor einiger Zeit hast Du in einem Interview gesagt, dass Ihr als Bonner Provinzler kein Umfeld, keine Szene habt. Nun seid ihr nach Köln gezogen. Der Szene wegen?
Nein. Eigentlich habe ich inzwischen festgestellt, dass wir wahrscheinlich auch ein bisschen zu eigensinnig sind, um richtig zu einer Szene zu gehören. Wenn man sich die ganzen Szenen anguckt, dann sind das meistens Bands, die in der Tradition von irgendeiner anderen groß werden. Ob bewusst oder ob das später von den Medien so gemacht und gesehen wird. Das fehlt uns ja völlig und da bin ich heute eigentlich auch ganz froh drum.
In diesem Monat bringst Du mit Deiner Band Voltaire die zweite Platte «Das letzte Bisschen Etikette» raus. Viele werden denken: Plattenvertrag in der Tasche, ausgesorgt …
Überhaupt nicht. Ein Plattenvertrag ist ja nur eine Chance, dass du einen Schritt weiterkommst. Und es ist ja noch nicht einmal ein richtiger Plattenvertrag. Wir haben ja eigentlich unser eigenes Label und sind jetzt eine Kooperation eingegangen. Das heißt, wir haben sehr viel Eigenverantwortung, finanzieren sehr viel selbst, haben glücklicherweise öffentliche Fördergelder bekommen. Aber selbst, wenn du zu einer großen Plattenfirma gehst, ist das einfach nur ein Schritt auf der Strecke und wie schnell man da wieder raus sein kann, haben wir auch mitbekommen über die Jahre.
In den letzten Jahren dachte ich immer wieder, es wird leichter für deutsche Bands. Nicht umsonst kommen zum Beispiel «Selig» gerade wieder. Ihr aber habt vom Debutalbum bis zur zweiten Platte drei Jahre gebraucht und spielt trotz großartiger Kritiken immer noch in größtenteils kleineren Clubs. Ist es doch nicht so einfach?
Nein, ist es überhaupt nicht. Auf der einen Seite ist heute das Forum für deutschsprachige Musik größer als vielleicht vor zehn Jahren, auf der anderen Seite gibt aber auch umso mehr Bands, die sich auf dem gleichen Level tummeln. Und durch den Rückgang der Plattenverkäufe versuchen viele Bands, die Ausfälle dadurch zu kompensieren, dass sie sich den Arsch abspielen, was am Ende heißt, dass du als Konsument so viele Konzerte zur Auswahl hast, dich entscheiden musst und ja auch nicht zu jedem Konzert gehen kannst.
Ich habe das Gefühl, die wenigsten Bands mögen es, mit anderen verglichen zu werden. Trotzdem steht auf Eurer MySpace-Seite: «Klingt wie: Coldplay, Muse, Jeff Buckley, Tomte, Kettcar, Blumfeld, Radiohead».
Das ist absolut funktional. Dass jeder Vergleich hinkt, ist uns klar. Auf der anderen Seite haben wir diese Vergleiche auch nicht selber ausgesucht. Beim Einrichten der Seite haben wir gesagt: Gucken wir einfach mal die Presse durch, was die sagen und dann ziehen wir das da rein. Einfach, damit Leute uns finden und auf uns aufmerksam werden.
Intro hat Eure Musik «Duktuspop» genannt, «Diskurspop». Treffer?
Also ehrlich gesagt: Da ich selber nicht studiert habe, habe ich es nur so mäßig mit Fremdworten und wir haben uns auch schon darüber unterhalten, was das Wort Duktus eigentlich heißt und sind über eine Bedeutung in der Klassik darauf gekommen, die aber auch nur soviel heißt wie «Style». Was heißt Diskurspop? Natürlich setzt man sich mit etwas auseinander und sicherlich auch mit Innensichten, die man wieder auf die Gesellschaft beziehen kann. Aber ehrlich gesagt mag ich diese Ebene nicht. Über die können gerne Leute schreiben, aber auf der Ebene unterhalte ich mich nicht so gerne über die Musik.
Ihr habt nicht nur eine MySpace-Seite, sondern auch Videos bei YouTube und Ihr twittert. Nutzt Ihr diese Kanäle auch zur Imagebildung? Für Eure Marke?
Im Prinzip wird ja alles, was öffentlich ist, darauf bezogen, was du machst, auf die Musik. Insofern kann man natürlich schon von dem Gedanken des Künstlers als Gesamtkunstwerk sprechen. Da wir aber nicht mehr in Zeiten leben, und sicher hat das auch mit unserem Status zu tun, dass du diesen Abstand hast, dass du eine Promoagentur hast, die irgendwelche Skandale für dich fingiert, und der Twitter-Account ständig für jeden sichtbar ist, wird so etwas natürlich auch herangezogen, wie ja jetzt gerade auch. Und natürlich ist es dann auch imagebildend. Aber wir versuchen dadurch auch einfach, ein Stück nahbarer zu sein.
Wenn man sich bei Euren Fotos auf MySpace die Kommentare anschaut, könnte man meinen, Eure Fans seien fast ausschließlich weiblich und unter 20.
Nein, aber das sind vielleicht die einzigen, die Kommentare zu Fotos schreiben.
Du hast Annette Humpe getroffen, die Dir zwar eine «Wahnsinnsstimme» bescheinigt, aber auch gesagt hat, dass Du Dich in Deinen Texten zu sehr abgrenzt, Dich nicht traust, zu sagen, was Sache ist. Traust Du Dich heute?
Ich sehe das schon so, ja. Ich habe mit ihr lange nicht mehr gesprochen und das Gespräch ist jetzt auch schon zwei, drei Jahre her, das war relativ kurz, nachdem unsere erste Platte rauskam. Die neue Platte ist sehr viel konfrontativer geworden, deswegen sehe ich das schon so. Aber ich arbeite natürlich weiter daran.
Um so zu reagieren, muss man sich die Kritik ja schon zu Herzen nehmen.
Ich habe sie mir deswegen zu Herzen genommen, weil es in mir was getroffen hat und ich was damit anfangen konnte. Ich nehme mir ja nicht jede Kritik zu Herzen und würde mir auch nicht per se von einer Annette Humpe was sagen lassen, weil sie Annette Humpe ist, sondern, weil ich etwas verstanden habe. Es ab aber genauso auch andere Erlebnisse und andere Leute, die mich da weitergebracht haben.
Eure Musik, Eure Texte, auch auf dem zweiten Album klingen Voltaire eher nachdenklich, manchmal sogar wütend. Woher kommt das?
Tja, woher kommt das? Aus dem Leben. Das kann ich schwer beantworten. Das ist so eine Frage wie: «Sag mal, woher kommt denn das, dass du immer so Fragen stellst, dass du so und so guckst, dass du so bist?» Das ist schwer zu beantworten.
Das heißt aber, Texte und Musik sind schon ein Abbild von Dir?
Sie sind ein Abbild einer bestimmten Gefühlslage von mir, ja. Leute, die mich kennen, werden mich nicht prinzipiell als wutschnaubenden Egomanen kennen. Aber die Wut, nicht der Egomane, ist einfach eine Seite, die viel in der Musik rausgelassen wird.
Wäre denn eine fröhliche Voltaire-Platte denkbar?
Vielleicht irgendwann mal. Ich will niemals, niemals irgendwas ausschließen, weil ich keine Lust habe, zweimal dasselbe zu machen.
Ich war im letzten Jahr in der Moritzbastei in Leipzig, wo Ihr am 19. Mai auch auftretet, bei einem Konzert von Herrenmagazin. Die haben vor 50, vielleicht 80 Leuten gespielt. Kommt Dir das bekannt vor?
Klar.
Wieviel Überwindung gehört dazu, an einem solchen Abend trotzdem gut zu sein?
Eigentlich hast du es nur halb in der Hand, weil es viel damit zu tun hat, in was für einer Stimmung du bist und in was für einer Stimmung die Leute sind. Wenn du eine gewisse Grundenergie vom Publikum zurückbekommst, ist es natürlich leichter, ein gutes Konzert zu spielen. Eigentlich muss man ehrlicherweise sagen, und je mehr ich diese Konzerte mache, desto mehr werde ich mir dessen auch bewusst dass man etwas macht, für das man eine Energie braucht, die man alleine nicht aufbringen kann.
Es klingt fast ein bisschen enttäuscht, dass das so ist.
Ach, man könnte diesem Gedanken weiter frönen, den ich inzwischen aber auch für ziemlich naiv halte, von dem Künstler, der immer hundert Prozent gibt und der immer perfekt ist. Ich glaube, wenn man immer perfekt ist, dann ist man tot.
Nur mal angenommen, es klappt nicht mit der großen Musikkarriere. Gibt es einen Plan B?
Nein, nicht wirklich. Ich mache ja musikalisch einige Sachen, ich habe diese Platte jetzt selbst produziert, möglicherweise kommen dadurch ja auch Sachen rein. Als Songwriter mache ich mir allmählich auch einen Namen und ich kann mir nicht vorstellen, etwas anderes als Musik zu machen.
Bin vor kurzem auf die Musik aufmerksam geworden. Nicht meine übliche Musik, aber dennoch schön anzuhören.
Ideal wenn man es etwas ruhiger möchte.
Das Interview fand ich recht interessant. Mal ein recht offener Blick hinter die «Kulissen» einer «kleineren» Band. Danke.