Macht & Geld
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Schaufensterbummel

»An einem heißen Tag im Juli schlen­derten die bei­den gemäch­lich durch den Berlin­er West­en und betra­chteten die Schaufen­ster. Eigentlich schlen­derte ja der Pro­fes­sor ganz allein. Mäx­chen schlen­derte nicht, son­dern stand in des Pro­fes­sors äußer­ster Brust­tasche. Er hat­te die Arme auf den Taschen­rand gelehnt, als sei die Tasche ein Balkon, und inter­essierte sich beson­ders für die Spielzeuglä­den, Delikates­sen­geschäfte und Buch­hand­lun­gen. Aber es ging nicht immer nach seinem Kopf. Dem Pro­fes­sor gefie­len auch Aus­la­gen mit Schuhen, Hem­den, Krawat­ten, Zigar­ren, Schir­men, Wein­flaschen und allem Möglichen.«* Immer wieder muss ich in let­zter Zeit an diese wun­der­bare Szene denken, an diesen Schaufen­ster­bum­mel, die Aus­la­gen, Mäx­chens Staunen. In bes­timmten Vierteln Kölns hät­ten er und der Pro­fes­sor keine Freude gehabt. Sich­er, Schaufen­ster gibt es auch hier, und nicht wenige inter­es­sante Geschäfte. Immer wieder jedoch stößt man auch auf solche, die man nicht ver­ste­ht. Schaufen­ster, hin­ter denen sich Laden­lokale ver­ber­gen, die beina­he so leer sind wie der White­cube ein­er 80er-Jahre-Galerie. Vielle­icht gibt es ein Bücher­re­gal an der Wand, vielle­icht eine Ablage für die Espres­so-Mas­chine. In manchen Räu­men lässt sich von mor­gens bis abends keine Men­schenseele blick­en, in anderen wiederum sitzen kreativ drein­blick­ende Men­schen, die jeden Roman­is­ten-Looka­like-Wet­tbe­werb spie­lend gewin­nen wür­den, stun­den­lang an Schreibtis­chen, auf denen nichts ste­ht, außer einem Mac­book — weiß. Sie hock­en hin­ter Fas­saden, an denen nichts hängt, keine Reklame, nicht ein­mal Öff­nungszeit­en, kein Hin­weis darauf, wer hier arbeit­et — und was. Was tun diese Men­schen in ihren Lokalen? Warum über­haupt beziehen sie solche Lokale, wenn sie doch offen­sichtlich keinen Wert auf Laufkund­schaft leg­en? Mäx­chen und der Pro­fes­sor zumin­d­est wären ent­täuscht an ihren Häusern vor­beige­laufen. Wie auf ein­er Bühne sitzen sie dort, und doch begreift man das Stück nicht, das sie spie­len. Früher, als meine Eltern son­ntags zum Schaufen­ster­bum­mel aufge­brochen sind, habe ich auch nicht begrif­f­en, warum sie das tun. An Aus­la­gen vor­beis­chlen­dern, wohl wis­send, dass sie nichts kaufen kön­nen. Doch zumin­d­est gab es etwas zu guck­en, im besten Fall kamen sie voller Vor­freude auf den näch­sten Einkauf zurück. Doch hier? Hier weiß man noch nicht ein­mal, was man kaufen soll, und ob es über­haupt etwas zu kaufen gibt. Ich ver­ste­he das nicht.

*Aus: Erich Käst­ner: »Der kleine Mann«

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