Seien Sie gewarnt, es folgen ein paar Allgemeinplätze, und das, obwohl ich es bereuen würde, Sie gleich im ersten Absatz wieder zu verlieren. Doch was soll man schreiben über einen Mann, der seine Heimat Meppen verlassen hat, um in Berlin und Paris Design zu studieren, der heute zwischen der deutschen, der französischen und der mexikanischen Hauptstadt pendelt, der nach einem klassischen Singer-Songwriter-Album mit »Shore To Shore« eine Pop-Elektro-Platte aufgenommen hat und das auch noch mit Janne Lounatvuori, einem Finnen? Man muss ihn wohl einen Kosmopoliten nennen, einen Weltenbummler, einen Tausendsassa. All das ist Norman Palm und doch wird ihm keine der drei Beschreibungen wirklich gerecht. Norman Palm selbst sagt über sich, er sei ein »Freund des Gesamtkunstwerks«. Das kann man so stehen lassen. Und besser über die Musik sprechen, die der 29-Jährige macht.
Zwar bin ich nicht der Stimme wegen auf Norman Palm aufmerksam geworden (Schuld daran ist ein umtriebiges Pressebüro), sie aber war das Erste, das mir an »Shore To Shore« aufgefallen ist. Vergleiche sind nicht immer passend und mögen manchmal sogar unfair in die Irre führen, doch Palms Stimme hat mich, je öfter ich die Platte gehört habe, an zwei Musiker erinnert: John Watts von Fischer‑Z und Roger Hodgson von Supertramp. Und schon hatte mich Palm, denn auch wenn seine Musik sich deutlich von diesen beiden Bands unterscheidet (»Shore To Shore« klingt vor allem entspannter als Fischer‑Z, melancholischer, ist dafür aber ähnlich vielfältig instrumentiert wie so mancher Titel von Supertramp): Immer wieder im Laufe der 42 Minuten wurden bei mir Erinnerungen wach an einige der Alben, die bei mir im Regal stehen.
War »Songs« noch ein gitarrenlastiges Folk-Album, ist »Shore To Shore« voll von absonderlichen Sounds und Beats, von Ukulelen und urigen Chören etwa, von Loops und Synthesizern. Und: Es ist voll von wunderschönen Geschichten. Dass das bereits genannte umtriebige Pressebüro dazu schreibt, es liefere den »Soundtrack fürs Morgengrauen nach einer Nacht im Berghain« — geschenkt, das Berghain ist eh nicht mehr der beste Club der Welt. So ganz falsch aber ist die Beschreibung dann doch nicht. Mit dieser Platte nach einer durchzechten Nacht bei Sonnenaufgang auf einer Dachterasse zu sitzen und über die Stadt zu schauen — gleich welche —, ein letztes Bier oder einen ersten Kaffee in der Hand, es klingt wie gemacht dafür …
Dazu scheint Norman Palm auch noch ein Künstler zu sein, der nicht nur einiges von Design (das aktuelle Cover-Artwork hat er trotz seiner eigenen Fähigkeiten an Ahonen & Lamberg abgegeben) und Musik (Unterstützung bekommt er auf »Shore To Shore« auch durch Emma und Mia Kemppainen von der Band Le Corps Mince de Francoise) versteht, er scheint auch noch eine gesunde Portion Humor zu haben, wie das Video beweist, das er in Mexico City gedreht hat und das vermeintliche Straßenhändler mit seinem neuen Album in der U‑Bahn zeigt. »Musik ist heute sehr viel zugänglicher, wird getauscht und kann auch ohne Prädikat eines Labels oder der Journalisten ihre Hörer schaffen«, sagt er. »Wenn in Mexico City die Piraten-Verkäufer die U‑Bahn betreten und völlig zufällig ausgewählte Songs aus Ihren Rucksäcken plärrt, sind das oftmals schöne und spontane Begegnungen mit Musik. Ich fand es immer interessant mich auch als Künstler mit dem Thema auseinanderzusetzen. Mit meinem ersten Album habe ich den MP3s ein 200-seitiges Buch entgegen gestellt. Jetzt verkaufe ich meine eigenen Raubkopien.«
»Shore To Shore« erscheint heute beim Berliner Independent-Label City Slang, im August und September geht Norman Palm auf Deutschlandtour.