Jeden Tag werden den Redaktionen dieser Welt dutzende, vielleicht hunderte Fotos von den Krisenherden rund um den Globus angeboten. Die wenigsten davon schaffen es in die Zeitungen oder auf Nachrichtenportale. Immer wieder schaue ich diese Fotos durch, in letzter Zeit vor allem aus dem Gazastreifen, und frage mich, welches davon für den jeweiligen Artikel geeignet wäre. Die Bilder der Agenturen zeigen alles: die Zerstörung, das Elend, Leichen, verzweifelte Menschen. Doch wenn die Medien dieser Tage über den Gazakrieg berichten, werden meist Fotos ausgewählt, die aus sicherer Entfernung aufgenommen sind. Manchmal sogar romantisch wirkende Bilder, mit Soldaten vor Sonnenuntergängen. Selten aber sind die Aufnahmen nah dran.
Das hat seinen Grund. Anders als Robert Basic Anfang des Jahres geschrieben hat, geht es nämlich nicht nur um die Frage, was Lesern zuzumuten ist oder was man ihnen vorenthält. «Was wir in den Nachrichten sehen, ist meistens nur Kindergarten-Mist, das viel zu schonend mit Krieg umgeht», schreibt Basic und verweist auf eine Bilderstrecke auf boston.com, die keinen Halt vor dem ganzen Grauen macht. Doch das ist nur die eine Seite.
«Die Presse verzichtet auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid», heißt es in Ziffer 11 des Pressekodex. Nun kann man im Fall von Krieg wohl kaum darauf verweisen, die Darstellung der Realität sei «unangemessen sensationell». Der Grund, warum beispielsweise nur selten Tote gezeigt werden, hat mit einer anderen Ziffer zu tun, nämlich Ziffer 1: «Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.» In vielen Fällen aber stehen die Wahrheit und die wahrhaftige Unterrichtung der Menschenwürde eben gegenüber. Denn mit der ist es wohl kaum vereinbar, teils grausam verunstaltete Leichen oder tote Kämpfer in den Armen ihrer verzweifelten Frauen zu zeigen. Dazu kommt auch noch Ziffer 8: «Die Presse achtet das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen.» Und solche intimen, obwohl öffentlichen Momente haben in den Medien wenig zu suchen. Vor allem, weil auch sie dem Leser nicht helfen, zu verstehen, was etwa in Gaza passiert. Im Hinblick auf den Jugendschutz würde die Diskussion noch eine weitere schwierige Facette hinzubekommen, gerade, da für Kinder eine Unterscheidung zwischen Realität und der Fiktion etwa eines Actionfilms deutlich schwieriger ist als für Erwachsene.
Dass selbst der Presserat das nicht in allen Fällen so sieht, zeigt ein Fall aus dem Jahr 2003, bei dem die Bild-Zeitung ein Foto abdruckte, auf dem ein abgetrennter, noch blutender Kopf in den Händen eines liberianischen Soldaten zu sehen war. «Der schockierende Inhalt kann aus Sicht des Ausschusses bei Lesern erhöhte Aufmerksamkeit für Krieg und Gräuel wecken. Eine der zentralen Aufgaben der Presse ist die Berichterstattung über tatsächliche Geschehnisse in der Welt, stellte der Ausschuss fest. Dazu zählen auch reale Schrecken eines grausamen Krieges», erklärte das Gremium dazu und wies 17 Beschwerden zu diesem Bild ab. Es kann also durchaus zu rechtfertigen sein, die Grausamkeiten des Krieges zu zeigen. Doch wo zieht man die Grenze?
«Auch die postmortale Würde des Menschen ist unantastbar», schreibt der Hamburger Medienanwalt Jens Olaf Brelle in seinem Text «Krieg der Bilder — Verhaltenskodex für Journalisten». Wonach aber werden Fotos dann ausgewählt? Bei einer Veranstaltung zu diesem Thema vor vier Jahren sagte Nicolaus Fest von der Bild-Zeitung, es gehe um den «Informations- und Verdichtungsgehalt» eines Fotos. «Das Foto muss also entweder Beleg für einen bisher unbekannten Aspekt sein oder einen Sachverhalt auf den Punkt bringen.» Kriterien aus dem Pressekodex, wonach auf «unangemessene sensationelle Darstellung» verzichtet werden solle, wenn der Mensch zum bloßen Opfer und Mittel herabgewürdigt werde, seien da wenig hilfreich.
So ganz Unrecht hat Fest dabei nicht gehabt, doch er übersah das Wort unangemessen. Denn wenn das Foto Beleg für einen bisher unbekannten Aspekt ist, dann ist die Darstellung vielleicht schon nicht mehr unangemessen. Und der Presserat schreibt zur Privatsphäre: «Berührt jedoch das private Verhalten öffentliche Interessen, so kann es im Einzelfall in der Presse erörtert werden.»
Im Falle des Krieges im Gazastreifen gibt es noch einen weiteren Punkt, der die angebotenen Fotos schwierig macht: Die Hamas kontrolliert ebenso wie Israel genau, was gefilmt wird — jeder in seinem Einflussbereich. Aus Gaza selbst kommen täglich Bilder palästinensischer Opfer. «Bilder der palästinensischen Täter hingegen gibt es nicht», schreibt die Welt. Und: Anders als die israelische Armee sind Hamas-Kämpfer kaum zu identifizieren. «Sie tragen keine Uniform und tauchen in der Bevölkerung unter. Ob ein Toter Zivilist oder Hamas-Kämpfer war, kann man nicht erkennen», sagt Politikwissenschaftler Herfried Münkler.
Eine einfache Lösung bei so komplexen Problemen gibt es sicherlich nicht. Jeder Einzelfall ist eine neue Herausforderung für Journalisten. Einzig und allein aus dem Willen, der Welt nichts vorzuenthalten, wird in den Redaktionen jedoch nicht entschieden. Das wäre zu einfach.
Interessant in diesem Zusammenhang find ich auch dieses Fundstück.
Allerdings. Hat Herr Niggemeier respektive Moritz Günnel gut aufgepasst.Und erstaunlich, dass die ARD das als wenig problematisch ansieht.