Der kommende Montag wird ein denkwürdiger Tag. An diesem Tag nämlich setzt die finnische Post Itella einem der berühmtesten finnischen Künstler*innen des 20. Jahrhunderts ein Denkmal mit drei Briefmarken: Touko Laaksonen, besser bekannt als »Tom of Finland«. Während das an sich noch nicht ungewöhnlich ist, sind es mindestens die Motive: muskulöse Oberkörper, Lederstiefel, Kerle in Uniform, Pobacken.
Wie kaum ein*e Zweite*r hat der 1920 in Kaarina geborene und 1991 in Helsinki gestorbene Laaksonen die homoerotische Kunst und die Ästhetik der Schwulenszenen geprägt. Mit seinen etwa 3500 Zeichnungen — viele davon explizit pornografisch — setzte er dem lange Zeit von femininen Typen geprägten Milieu seine »richtigen Männer« entgegen. Beeinflusst durch nächtliche Begegnungen in Helsinki — unter anderem mit deutschen Wehrmachtssoldaten — entwarf er oft schnurrbärtige Männer in Lederkleidung und Uniformen, die immensen Einfluss hatten — auch auf die Ästhetik von Gruppen wie Village People oder Queen.
»Weder ästhetisch ansprechend noch kulturell wertvoll«
Interessant an den Briefmarken ist, dass Itella offenbar keinen Anlass braucht, um das Set auf den Markt zu bringen. Kein Geburts- oder Todestag, kein Jubiläum, das staatliche Unternehmen will mit den Marken nach eigenen Angaben schlicht und einfach einen großartigen Künstler ehren: »Tom of Finland’s masculine homoerotic drawings have attained iconic status in their genre. The artist renewed the imagery of gay culture by expanding the previous feminine gay imagery with his muscular and masculine men. Tom of Finland’s works resort to self-irony, exaggeration and humor.«
»Traditionally stamps have shown themes that are aesthetically beautiful and culturally valuable. Strong homoerotic themes in stamps is not either. In the future we want Itella to think more carefully how to select themes that all Finns can be proud of.«
Petition gegen die Briefmarken
Dass diese Briefmarken jetzt ausgerechnet in Finnland erscheinen, ist — abgesehen von der Tatsache, dass Laaksonen Finne war — auf der einen Seite wenig, auf der anderen Seite doch ziemlich erstaunlich. Zum einen gilt die finnische Demokratie als überaus tolerante Gesellschaft, die — um nur zwei Beispiele zu nennen — 1906 als erstes europäisches Land das Frauenwahlrecht eingeführt hat und in der Minderheiten heute recht frei leben können. Zum anderen debattiert auch das Parlament in Helsinki nach wie vor über die gleichgeschlechtliche Ehe, eine rechtliche Grundlage aber — wie beispielsweise in den Niederlanden oder in Dänemark — gibt es dafür noch nicht.
Und so fielen auch in Finnland die Reaktionen nicht nur begeistert aus. Unter anderem haben Aktivist*innen mit einer Petition versucht, die Briefmarken zu stoppen, bis heute allerdings kam die »nur« auf 4389 Unterschriften. Der Vorwurf der Petition, die Niina Sormunen (The Thrifty Finn) übersetzt hat: Die Briefmarken seien weder ästhetisch ansprechend noch kulturell wertvoll. Amüsanterweise aber, so schreibt Kat Callahan auf ROYGBIV, gestehen die Einsender*innen der Petition Tuoko Laaksonen durchaus den Status einer »Schwulenikone« zu — »das Bewusstsein für eine gewisse kulturelle Bedeutung scheint also durchaus vorhanden zu sein«.
Finnische Briefmarken: Glitzer, Bling-Bling, Kitsch
Weiter heißt es in der Petition: »Traditionally stamps have shown themes that are aesthetically beautiful and culturally valuable«. Diese »ästhetische Schönheit« allerdings könnte man auch guten Gewissens als Kitsch bezeichnen. Neben klassischen Naturmotiven oder Sehenswürdigkeiten und etlichen grafisch herausragenden Arbeiten in den verschiedensten Formen gehören in Finnland auch Glitzer, Bling-Bling, klebrig-süße Farben und romantisch verklärte Heimatmotive zu jeder Jahreszeit zum Standardrepertoire an Briefmarken. Da kann ein nackter Männerpo schön verstören.
Dabei hätte es die Kritiker*innen auch noch hefiger treffen können. Wie Timo Berry, der Designer der Briefmarken, der Welt erzählte, habe man »Bilder von Analsex, Orgien und Ejakulationen von der Auswahl ausgenommen«. Dass er die Kritik nicht versteht, liegt auf der Hand: »Es sind nur Pobacken. Dasselbe sieht man bei der Skulptur ›Drei Schmiede‹ inmitten von Helsinki — nur ohne den Hut«, sagte Berry der Welt. Er meint damit die berühmte Bronzestatue von Felix Nylund aus dem Jahr 1932, die drei nackte Männer zeigt, die auf einen Amboss eindreschen.
Kleine Randnotiz: Auch der US Postal Service hatte mit Harvey Milk vor kurzem eine Ikone der Schwulen-Bewegung geehrt, das allerdings mit einem züchtigen Foto von Milk statt erotischer Motive.