Wer einmal vor den traurigen Überresten von Brightons «West Pier» gestanden hat, diesem verkohlten gusseisernen Skelett, dass da aus dem Wasser ragt, kann sich kaum vorstellen, dass die einstige Touristenattraktion jemals wieder zum Leben erwachen könnte. Doch es gibt Menschen, die genau davon träumen, die dieses gespenstische Monstrum wieder aufbauen wollen — Der «Brighton West Pier Trust» zum Beispiel. Sie klammern sich an den Denkmalschutz, der den Abriss verhindert. Vielleicht versteht man das besser, wenn man die Geschichte des Piers kennt, der 1866 erbaut und 1975 aus Sicherheitsgründen geschlossen wurde. Den Wellen und dem Sturm preisgegeben verfiel er Jahr für Jahr, stürzte teilweise ein wurde durch Brandstiftung zuletzt fast vollständig niedergebrannt, während der «Palace Pier» nebenan, heute «Brighton Pier» genannt, mit zwei Millionen Besuchern jährlich zu den meistbesuchten Attraktionen in Sussex wurde.
Rost, Verfall, Feuer
Eine traurige, eine tragische Geschichte, die der Film von Level Films in knapp sieben Minuten eindrucksvoll schildert. Und eine Geschichte, in der es wilde Spekulationen gibt, darüber etwa, wer für die Brände verantwortlich ist.
Das Schicksal des «West Piers» ist kein Einzelfall, die Piers, die verstreut an Englands Küste zu finden sind, diese «reine Essenz der Britishness», wie die Süddeutsche einmal schrieb, ist bedroht. Vom Rost, vom Verfall und vom Feuer. 2008 brannten in einem Sommer der historische «Fleetwood Pier» bei Blackpool und der 104 Meter lange Pier in Weston-super-Mare ab. Insgesamt 55 Vergnügungspiers gibt es noch.
Brighton lebt wieder auf
Auch Mark Collington hat einen Traum vom «West Pier», und er hat ihn in einem wunderschönen Animationsfilm umgesetzt. Der Absolvent des Royal College of Art verwischt mit seiner Vision die Grenzen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Dass es Brighton verdient hätte, etwas mehr Beachtung zu bekommen, zeigt auch der Artikel «Das Paradies am Pier», den Frank Sawatzki 2007 für die «Zeit» geschrieben hat: «Das Seebad hat eine lange Tradition als Vergnügungsmeile der Briten, von den Lords und Earls und Dukes, die Brighton zu ihrer Badewanne deklarierten, bis zum Parka-Pop-Aufbruch der Sixties. In den frühen Sechzigern spielten The Who (anfangs als The High Numbers) zur Unterhaltung in den Florida Rooms am Pier auf, das war noch vor den sportlichen Raufereien, die sich Mods und Rocker 1964 am Strand von Brighton lieferten.»
Heute lebt Brighton wieder auf, touristisch, als britische Hauptstadt der Schwulen und eben als neues Popzentrum Englands: «Aber erst Lokalheld Fatboy Slim machte das Gebiet zwischen West und Palace Pier zur Partymeile Südenglands. Brighton wurde zum Synonym für den Bums, den die Hauptstädter suchten, und zum Fluchtpunkt eines alternativen Lebensstils, den man in London teuer bezahlen musste. Heute sind 75 Prozent des Wohneigentums im Besitz von Londonern — die Kaste der Kreativen hat sich ihr London by the sea ‹schön› gemacht, mit Coffee- und Gift-Shops und Organic-Food-Läden.» Ein neuer «West Pier» mit seinen Attraktionen und seinem Flair wäre wohl die Krönung dieses neuen Lebensstils. Stattdessen aber plant man dort derzeit mit dem «i360» einen 183 Meter hohen Aussichtsturm. Die Kosten: 15 bis 20 Millionen Pfund (16,5 bis 22 Millionen Euro).