Ich scheine in meinem Bekanntenkreis einer der wenigen Menschen zu sein, denen es so vorkommt, als habe die Wirtschaft sich in diesem Jahr ein wenig Geduld in Sachen Weihnachtsgeschäft geleistet. Einer der wenigen, denen es vorkommt, als seien einige Unternehmen nicht ganz so früh dran mit ihrem Sortiment, wie in den vergangenen Jahren. Zudem scheine ich aber auch einer der weniger werdenden Menschen zu sein, die Weihnachten überhaupt noch mögen, die nicht jedes Jahr wieder in die ewig gleiche Leier verfallen, dieses Fest sei zu einer reinen Konsumveranstaltung geworden. Ich liebe Weihnachten, für mich ist Heiligabend der wohl wichtigste Tag des Jahres, auch wenn sich dieses Fest auch für mich Jahr für Jahr beinahe unmerklich verändert hat — und weiß Gott nicht immer zum Guten. Was sich nicht geändert hat: Geschenke gehörten und gehören für mich zu Weihnachten. Bei all den Diskussionen um Sinn und Unsinn dieses Fests umso mehr gefreut habe ich mich, als ich über den Verlag einer Fachzeitschrift auf ein Buch gestoßen bin, dessen Existenz ich zunächst gar nicht glauben konnte: »Optimiert Weihnachten — Eine Anleitung zur Besinnlichkeits-Maximierung«.
Es hat einige Momente gedauert, bis ich erleichtert den ironischen Unterton entdeckt habe, den Autor Bernd Stauss (Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Dienstleistungsmanagement an der Uni Eichstätt-Ingolstadt) hinter Kapiteln versteckt hat, die »Weihnachtszielplanung mit Hilfe der Christmas Scorecard (CSC)«, »Weihnachtskarten-Portfolioanalyse« oder »Geschenkeeinkauf mittels Gift Target Costing« heißen. Nach dem Vorwort aber wusste ich, dass dieses Buch vielleicht etwas bewirken könnte. »Da wir alle jammern, sind wir auch alle Opfer«, schreibt Stauss da, »Opfer von undurchschaubaren Mächten, den manipulierenden Medien, gierigen Konzernen, Zeit stehlenden grauen Männern. Sie alle schaffen einen gar nicht heilig wehenden, Besinnlichkeit vertreibenden Zeitgeist. Es ist allerdings fraglich, ob man sich wirklich in die Opferrolle begeben muss, ob man tatsächlich zusehen und erleiden muss, dass das Besinnlichkeitsdefizit in jedem Jahr noch stärker steigt als das Defizit im Staatshaushalt.«
Und was nun bietet Stauss als Lösung an? Denn immerhin glaubt er daran, dass es eine solche gibt: »Es gibt eine individuelle Handlungsmöglichkeit, eine Rettung der Besinnlichkeit, und zwar ohne dass wir uns durch Verzicht oder Selbstausgrenzung unglücklich bzw. lächerlich machen.« Doch wie sieht diese Handlungsmöglichkeit aus? Nun, alleine, was sich aus der Leseprobe herauslesen lässt, klingt so abenteuerlich, dass es wohl eine Sünde wäre, dieses Buch nicht zu lesen. Schon das Kapitel »Zeitoptimales Weihnachtsliedersingen«, in dem der Autor über »Psychische Gesangswiderstandskosten« und eine optimale Weihnachtsliederstrophenzahl schreibt (mit Hilfe eines Diagramms errechnet), macht Lust auf mehr, ganz zu schweigen von dem, was Stauss in einem Interview mit der Welt anklingen lässt: »Da wäre etwa die Perspektive der Kostenplanung im Sinne der Einhaltung von Geschenkebudgets. Weiter geht es darum, Aktivitäten wie Plätzchen backen oder Strohsterne basteln effizient zu gestalten. Und es gibt die Perspektiven von Eltern und Kindern, die sich in Bezug auf Bedeutung und Gewichtung von Besinnlichkeitszielen durchaus unterscheiden. Für alle diese Perspektiven sind Schlüsselindikatoren zu definieren, etwa die Kindermeckerquote oder das gerade noch zulässige Überschreiten des vorab definierten Geschenkebudgets.« Klares Fazit: Spätestens zum 1. Advent gehört jedem Weihnachtsmuffel und Konsum-Meckerkopp ein Exemplar dieses Buches geschenkt. Damit Weihnachten spätestens nächstes Jahr wieder ohne Spielverderber stattfinden kann, oder, in Stauss Worten: damit dieses Fest endlich nicht mehr sub-optimal verläuft.