»Deine Jeans steht ja vor Dreck!« An diesen Satz meiner Mutter kann ich mich noch gut erinnern. Er fiel meist, wenn ich gerade aus dem Wald kam oder vom Spielplatz — und er beschreibt ganz gut mein Verhältnis zu diesem Kleidungsstück, das lange ziemlich genau dem entsprach, wofür die Jeans irgendwann mal erfunden worden war: Es war das Verhältnis zu einem Gebrauchsgegenstand.
Vielleicht lag es daran, dass ich viele Jahre lang nicht gerade die coolsten Modelle tragen durfte, vielleicht aber auch schlicht daran, dass es gedauert hat, bis ich erkannte, dass dieses Stück Stoff die vermutlich faszinierendste Erfindung der Modegeschichte ist. Jedenfalls habe ich meine Jeans Jahr für Jahr abgenutzt und eingesaut, aufgerissen und aufgetragen. Und meine Mutter hat sie, nach jedem Ausflug in den Wald oder auf den Spielplatz, im Keller in die Waschmaschine gesteckt — und als sie wieder rauskam, sah sie fast wieder aus wie neu. Oder zumindest wie vorher. Ein Fehler? Hätte ich meine Mutter davon abhalten sollen?
»By leaving the fabric in its original state, it is the wearer that determines the aging characteristics of their jeans. This «story» is told over time and is based on the wearer’s daily life and what they do in their jeans. After just a few days of wear, the jeans become completely personal and unlike any other pair in the world.«
Tellason: »Our Story«
Es gibt zumindest Menschen, die behaupten genau das. Richard Vine zum Beispiel, der vor kurzem einen Artikel für den Guardian geschrieben hat. Der Titel: »Why you should never, ever wash your jeans (unless you really, really have to)«. Er zitiert darin beispielsweise den Denim-Hersteller Hiut mit den Worten: »Raw denim is best given a good six months before washing. The longer you can leave it, the better your jeans will look.«
Raw Denim: Ein Geruch, der Tote aufweckt
Ernsthaft: ein halbes Jahr ohne Waschen? Oder sogar noch länger? Produzent Tellason beispielsweise schreibt in seine Jeans: »We did not wash these jeans and neither should you.« Mal abgesehen von richtig fiesen Flecken (oder sieht Ketchup auf der Jeans wirklich cool aus?) — was bitte ist mit dem Geruch? Nun, es gibt Hersteller, die empfehlen, die Jeans einfach zum Lüften an die frische Luft zu hängen. Oder es gibt »Mr Black’s Denim Refresh«, quasi das Febreze für Denim-Produkte. Dieses Spray aber soll nicht nur den Geruch entfernen, der eine Jeans nach Monaten ohne Waschen umweht und der — so der Hersteller Nudie Jeans — nicht nur der »Geruch eines Siegers« ist, sondern der vermutlich sogar Tote aufwecken könne. Er soll auch den »öligen Film entfernen«, der sich nach so langer Zeit auf der Oberfläche bildet, und das, ohne den Look einer getragenen Jeans zu zerstören.
Nun, seine Hose monatelang, vielleicht sogar nie zu waschen, ist wohl nichts, das in einer sauberkeitsfixierten Gesellschaft auf viel Anklang stößt. »I know that sounds totally disgusting«, sagte auch Levis-CEO Chip Bergh im Mai in einem Interview. »I know it does.« Und doch erhalte genau das Farbe und Form einer Jeans und gebe ihr Charakter. Eine Meinung, die auch Tommy Hilfiger teilt.
Nun, als Kind hätte ich mich vermutlich gefreut über solche Argumente. Heute liefern mir Ratschläge wie die von Burgh dafür Argumente, um Wasser und Energie zu sparen und ein bisschen was für die Umwelt zu tun. Und irgendwann, wenn ich mich daran halte, kann ich vielleicht auch mal sagen: »Meine Jeans steht vor Dreck!« Oder sollte das alles irgendwie ein großes Missverständnis sein? Das zumindest glaubt Gregory Babcock, der vor kurzem schrieb:
Bloß: Wem glaub ich jetzt? Burgh? Babcock? Euch? Ich bin ratlos.