Da sitzen wir jetzt, wir vier — und versuchen uns zu erinnern, wie das alles bloß so weit kommen konnte. Der 17. Mai 2005 war ein trister, frischer Frühlingstag kurz nach den Eisheiligen, trocken, aber nicht gerade gemütlich. Zehn Tage später sollte es über 30 Grad heiß werden, aber dieser Tag war ein Stubenhocker-Dienstag. Doch sonst? Wer weiß schon noch so genau, was er vor zehn Jahren getan hat? Von uns keiner.
»Ich brauchte das Schreiben als Ventil, als Unterhaltung, als Befreiung. Als Sicherheit. Ich brauchte sogar die verdammte Arbeit, die es mir machte.«
Charles Bukowski
Dabei hocken wir gerade um so etwas wie unser digitales Lagerfeuer herum. Wann immer wir umgezogen sind, wir etwas loslassen mussten, es war und ist unsere Konstante. Wir haben uns über dieses Blog Gedanken von der Seele geschrieben, haben von Menschen Abschied genommen und von Orten, haben neue Freunde gefunden und neue Jobs, wir haben es uns eingerichtet und seine Tapete dutzendfach überpinselt, uns in ihm ausgeruht und ausgebreitet und es uns trotzdem nicht immer nur gemütlich gemacht darin.
Dass ich heute noch weiß, dass es auf den Tag genau dieser triste, frische 17. Mai war, an dem mein erster Text online gegangen ist, verdanke ich einem Geburtstagspost, den ich genau ein Jahr später geschrieben habe. Die ersten Tage dieses Blogs nämlich sind verschütt gegangen im Wust aus Backups und Festplatten und USB-Sticks. Ein hübscher Treppenwitz in einer Zeit, in der die Cloud und Backup-Strategien Hochkonjunktur haben. Doch so oder so — seitdem sind 519 Artikel entstanden, geschrieben von Kraxler, von Bloch & Kaminski, und zu guter Letzt von Trotzendorff. Wer bin ich – und wenn ja wie viele? Wie viel von jedem von uns steckt in 519 Artikeln, 685 Kommentaren, in 14755.844 Kilobyte? Und wie viel von alledem, wie viel von uns steckt in mir?
»Scheiß auf Content, wir machen jetzt wieder Inhalte.«
Michael Bukowski
Zehn Jahre — das ist nur wenig kürzer, als ich zur Schule gegangen bin, ein wenig länger, als ich studiert habe, ein knappes Drittel meines Lebens. Und genau wie mein Leben hat dieses Blog seine Lücken. Es hat gedauert, bis ich das akzeptieren konnte, bis ich mir eingestanden habe, dass es andere Ziele gibt als Vollständigkeit und Wahrheit, es hat gedauert, bis ich dieses Blog als wunderschöne Baustelle sehen konnte. »Mach es zu deinem Projekt!«, könnte darüber stehen. Irgendwas mit Herzblut könnte darüber stehen. Aber da steht nichts — und jetzt bloß keinen Kitsch, meine Herren!
Und da sitzen wir jetzt, wir vier — Kraxler, Bloch, Kaminski und ich — und versuchen uns zu erinnern, wie das alles bloß so weit kommen konnte. Vielleicht ist es ganz gut, dass wir das heute nicht mehr so genau wissen. Was wir wissen, ist: Es gibt ein paar Menschen, die gerne hier vorbeikommen. Und nur deshalb ist es hier so gemütlich. Danke dafür.