Man sollte meine, das sei eine einfache Sache mit diesen Push-Mitteilungen: an oder aus. Aber das ist es nicht, obwohl wir uns damit jetzt schon ein paar Jahrzehnte rumschlagen. Ein Lösungsversuch.
Push-Notifications: Ein kleiner Trigger für unser Belohnungssystem
Dieses Dopamin ist ein ganz feiner, kleiner Stoff. In bestimmten Situationen dockt er an Rezeptoren im mesolimbischen System an — dem »Belohnungssystem« unseres Hirns. Das Ergebnis: Wir fühlen uns gut. Das Besondere: Um dieses Belohnungssystem zu triggern, müssen wir gar nichts Großartiges vollbringen, wir müssen keinen Berg besteigen und keinen Marathon laufen, nicht im Lotto gewinnen und keinen guten Sex haben. Es genügt, eine Mail zu beantworten. Manchmal sind es die kleinen Dinge, die uns zufrieden machen.
»Multitasking is not a skill to add to the resume, but rather a bad habit to put a stop to. Turn off notifications, create set email checking time slots throughout the day (rather than constant inbox refreshing), and put your mind to the task at hand.«
Larry Kim: »Multitasking is Killing Your Brain«
Was auf den ersten Blick nach einer riesigen Chance klingt, birgt auf den zweiten ein erhebliches Risiko. Mails beantworten, SMS schreiben, twittern … solche »Aufgaben« tauchen heute fast im Minutentakt auf — über Push-Nachrichten. Und da Multitasking seit einigen Jahren als Standard gilt, versuchen wir auch, sie neben, zwischen und trotz all der größeren Tasks, die wir so zu erledigen haben, abzuarbeiten. Gefährlich, wie Larry Kim schreibt: »This constant task-switching encourages bad brain habits. When we complete a tiny task (sending an email, answering a text message, posting a tweet), we are hit with a dollop of dopamine, our reward hormone. Our brains love that dopamine, and so we’re encouraged to keep switching between small mini-tasks that give us instant gratification. This creates a dangerous feedback loop that makes us feel like we’re accomplishing a ton, when we’re really not doing much at all (or at least nothing requiring much critical thinking). In fact, some even refer to email/Twitter/Facebook-checking as a neural addiction.«
Doch wer auf seinem Smartphone, Rechner oder Tablet Apps wie Mails, Messenger, Twitter, Facebook oder Snapchat installiert hat, kriegt tagtäglich mehrere Dutzend solcher Push-Nachrichten — ständig macht es »Ping«. Und jede dieser Nachrichten ist ein kleiner Task. Jede davon bietet eine Chance für das Belohnungssystem — zumindest bis zu einem gewissen Grad. Wie Push-Mitteilungen nämlich aussehen, wenn man nicht ein paar Hundert oder Tausend Follower hat, sondern ein paar mehr, hat vor kurzem Instagrammerin Demy de Zeeuw gezeigt. Sie hat acht Millionen Follower — und nach einem Post einfach mal die Push-Mitteilungen angeschaltet. Es ist … verstörend.
Wenn eine App nichts von der anderen weiß
Doch es gibt noch ein zweites Problem mit diesen Push-Mitteilungen, die an sich eine ziemlich tolle Erfindung sind: Ich zum Beispiel nutze Twitter nicht nur auf dem Smartphone, sondern auch auf dem Desktop. Und private Mails schreibe ich nicht nur auf diesen beiden Geräten, sondern auch auf dem Tablet. Slack wiederum nutze ich fast nur auf der Arbeit, manchmal — wenn ich unterwegs bin — aber auch mobil, genauso wie meine beruflichen Mails. Mit all diesen Ausnahmen und individuellen Regelungen aber kommen Apps nach wie vor nicht mit. Obwohl das Prinzip der Push-Nachricht schon ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel hat.
»If you don’t have control, or if you find yourself thinking, ›I can’t do these things‹, I’d start to ask why not? Is it possible to change things, if not today then over the long term? I found that often I thought something wasn’t possible (working from home, for example), but in the long run they were.«
Leo Babauta: »13 small things to simplify your workday«
Einige simple Beispiele, an denen App-Entwickler offenbar immer noch scheitern: Tweetbot etwa ist ein wirklich guter Twitter-Client. Ich nutze ihn auf allen drei Geräten und durch die Sync-Funktion via Tweet Marker weiß die eine App, wo ich bei der anderen in der Timeline aufgehört habe. Was die Apps aber nicht wissen: welche Push-Nachrichten ich auf welchem Gerät gelesen habe. Das wird beispielsweise am Schreibtisch zum Problem. Bekomme ich da eine Reply, für dich ich die Push-Notifications aktiviert habe, passiert das auf zwei Geräten: meinem Desktop-Rechner und dem Smartphone. Was aber besonders ärgerlich ist: Markiere ich auf einem von beiden Geräten die Notification als gelesen, weiß das andere Gerät davon: nichts.
Zweites Beispiel — und noch um einiges komplexer: Slack. Der Messenger gehört für mich zum redaktionellen Alltag, über ihn läuft die Kommunikation mit einem Großteil der Kollegen, egal ob intern oder extern. In der Redaktion selbst kommen Push-Notifications über neue Nachrichten nur auf dem Desktop an. Soweit so schlecht: Beantworte ich eine dieser Nachrichten in Slack direkt, löscht das die Notification nicht. Vermutlich der Grund: Die Mac-App von Slack ist bloß eine Web-App in einem App-Wrapper, die Kommunikation mit Apples Mitteilungszentrale beherrscht sie schlicht nicht, da sie eben nicht die Cocoa-API für Notifications nutzt. Obwohl das technisch kein Hexenwerk ist.
Drei Geräte, Dutzende Apps, unzählige Situationen
Das Ergebnis: Aus einer Notification wird nicht ein kleiner Task, sondern zwei. Nachricht beantworten — und Notification löschen. Oder im Fall von Tweetbot: Notification als gelesen markieren — und auf dem anderen Gerät das gleiche Spielchen noch mal. Nun sind Twitter und Slack aber bei weitem nicht die einzigen Dienste, bei denen Push-Mitteilungen sinnvoll sind, und nicht immer sitze ich am Schreibtisch. Manchmal bin ich nur mit dem Smartphone unterwegs, manchmal nur mit dem Laptop, manchmal sitze ich nur mit dem Tablet auf dem Sofa, manchmal nutze ich zwei Geräte gleichzeitig — und so entsteht bei drei Geräten, Dutzenden von Apps und unzähligen Arbeitssituationen ein unüberschaubares Gewirr an Push-Nachrichten. Dabei gäbe es durchaus Lösungsansätze, das zu vereinfachen.
»Think of an app notification as the developer of that app whispering in your ear, ›Hey, I really think you should open up my APP, right now‹. If you listen often enough, you are allowing them to build their app into your habits.«
John Mardlin: »How notifications shape your habits« (Artikel leider offline)
Warum beispielsweise können die Tweetbot-Apps nicht schauen, ob sie im selben WLAN eingewählt sind — ein Fall, für den ich im Setup festlegen könnte, auf welchem Gerät die Push-Nachrichten ankommen sollen? Eine andere Möglichkeit: Die App, auf der ich eine Notification lösche, gibt der zweiten und/oder dritten App einen kurzen Hinweis, das auch zu tun. iMessage oder Telegram beispielsweise beherrschen dieses Spielchen. Eine weitere Idee: Ich lege bestimmte Arbeitsumgebungen fest und bestimmte jeweils, wie Push-Notifications sich verhalten sollen — ähnlich wie ich das auch mit Netzwerkumgebungen machen kann. Bin ich im Büro, laufen alle Notifications, die ich kriegen will, auf dem Desktop ein. Ist ein Gerät nicht aktiv, werden sie auf ein anderes umgeleitet. Doch all das geht nicht bei allen Apps. Warum auch immer. Also bleibt mir nur die Lösung, meine Mitteilungen so zu konfigurieren, wie es für mich am praktischsten ist. Und das sieht nach einigem Hin und Her und Ausprobieren so aus:
- Slack: Push-Notifications bekomme ich für Slack nur auf dem Desktop — und das auch nur für Mentions oder persönliche Nachrichten. Alle anderen Aktivitäten werden mir zwar im App-Symbol angezeigt, ich bekomme aber keinen gesonderten Push.
- Tweetbot: Notifications bekomme ich hier nur noch auf dem Smartphone. Zwar nutze ich auf der Arbeit oft die Desktop-App und zu Hause manchmal auch die Tablet-App, allerdings habe ich keine Lust, immer hin- und herzuswitchen. Also musste ich mich entscheiden — und die Entscheidung ist ganz schlicht für das Gerät gefallen, das ich immer dabei habe.
- E‑Mail: Notifications über neue E‑Mails bekomme ich gar nicht mehr. Für berufliche Mails versuche ich gerade, feste Slots zu etablieren, in denen ich Mails abrufe und beantworte, alles, was dazwischen reinkommt, hat in der Regel genug Zeit. Für private Mails habe ich lange einen Push auf das Smartphone bekommen, vor kurzem aber habe ich auch den ausgeschaltet. Dringende private Mails bekomme ich so gut wie nie.
- 7Mind: Seit einigen Wochen versuche ich mit Hilfe der App 7Mind regelmäßig zu meditieren — als Start in den Tag. Und: Dieser App erlaube ich es, mir drei mal täglich einen sogenannten Achtsamkeits-Impuls zu schicken — Push-Notifications, in denen Dinge stehen wie »Wünsche einem Menschen, den du nicht magst, etwas Gutes«. Auch eine Form der Störung, auch eine Art von »Aufgabe«, aber eine, die mich erdet und mir gut tut.
- Snapchat: Wird für mich immer wichtiger — als News- und Unterhaltungs-Medium, aber auch als Messenger. Deshalb erlaube ich hier mobile Push-Nachrichten.
- Telegram, Threema, Periscope und EyeEm: All diese Apps dürfen mir Mitteilungen schicken, das aber ebenfalls nur mobil. Wobei ich in Konzentrationsphasen auch schon mal Telegram-Gruppen mute, wenn mir zu viel los ist, was zum Glück problemlos und individuell funktioniert. In der Regel aber kommen hier so wenige Nachrichten rein, dass ich damit gut umgehen kann.
- Bring: Seit einiger Zeit nutze ich die Einkaufs-Zettel-App von Bring — die erste wirklich gute ihrer Art, mit der sich vor allem gemeinsame Listen führen lassen. Der Clou: Habe ich eine Liste verändert und will einkaufen gehen, kann ich Push-Notifications mit dem Hinweis verschicken, doch bitte noch mal einen Blick darauf zu werfen. Wenn wir uns nicht gerade darum bitten, doch Propangas, Champagner oder schlicht Geschenke mitzubringen, eine seltene und praktische Form der Benachrichtigung.
Von Push zurück zu Pull
Und darüber hinaus? Habe ich alle Push-Notifications ausgeschaltet. Dabei fragt so gut wie jede App, die man installiert, danach, ob sie einem welche schicken darf. Alleine von den 28, die auf meinem Homescreen installiert sind, würden 20 das gerne tun. Aber nur sieben dürfen es. Alle anderen Apps, Netzwerke und Tools, die ich nutze, habe ich wieder zu Pull-Diensten umfunktioniert, sprich: Ich entscheide, wann ich Informationen von ihnen kriegen will. Und seitdem? Ist es wieder deutlich ruhiger geworden bei mir.
Vor allem aber hat diese Strategie meiner Konzentration gut getan. Sicher: Multitasking kann in bestimmten Situationen gut und notwendig sein, in vielen anderen aber ist es wichtiger, sich einer Aufgabe voll und ganz zu widmen. Ohne Unterbrechung, ohne diese kleine Mitteilung, die einem suggeriert, jetzt gerade wichtig zu sein. Denn meistens ist sie es nicht.