»Wir laufen, deshalb denken wir.« Dieser so einfache wie sinnstiftende Satz steht am Anfang des wohl besten Buchs, das je über das Laufen geschrieben wurde. Na gut, ich muss das sagen, denn ich bin parteiisch, aber dazu später mehr.
Der Satz jedenfalls stammt von Amby Burfoot, US-Marathon-Legende und 25 Jahre lang Chefredakteur der Runner’s World. Dabei hat Burfoot lange ganz anders gedacht. Die Verbindung von Laufen und Philosophie sei ihm früher nicht nur nicht klar gewesen, er habe sogar darauf geschimpft, sagt er. »Alles nur Worte, Worte, Worte.«
»Joggende Menschen sind, krude gesagt, hässliche Menschen. Selbst Frauen und Männer, die man mit Wohlgefallen zu betrachten geneigt wäre, wenn sie stünden, säßen oder lägen, machen beim Laufen eine schlechte Figur.«
Maximilian Probst: »Der Marathon als Königsdisziplin der modernen Selbstoptimierung: Wie wir uns verlaufen«
Doch heute ist Laufen ohne die ihm eigene Philosophie für Burfoot nicht mehr denkbar. »Laufen schafft Raum und Zeit zum Nachdenken«, schreibt er weiter. »Nicht-Läufer glauben, dass Laufen eine physisch anstrengende Aktivität für Herz und Beine sei. Aber wir Läufer wissen, dass es anders ist. Sobald wir in Form sind, spüren wir während des Laufens weder Beine noch Herz und sind ganz in unseren Gedanken versunken. Weit weg von unseren Schreibtischen, Bildschirmen, Computer-Tastaturen, Telefonen und Meetings schalten wir auf Autopilot, und dann ist da nichts anderes mehr zu tun als zu … denken!« Wir laufen. Deshalb denken wir.
In dem Buch, für das Burfoot dieses Vorwort geschrieben hat und das knapp und prägnant »Die Philosophie des Laufens« heißt, kommen 16 Autoren zu Wort, darunter der Brentano-Preisträger Maximilian Probst, der Journalist Robert Semmler, die Autorin Isabel Bogdan oder der Künstler und Autor Armin Chodzinski. Und: ich. Deshalb muss ich sagen, dass es das beste Buch ist, das je über das Laufen geschrieben wurde. Ich bin parteiisch. Und ich finde, das darf ich auch sein.
Ob die Götter Google Maps nutzen?
Über mein eigenes Kapitel will ich gar nicht viele Worte verlieren, sondern zum Lesen auffordern. Auf zwölf Seiten schreibe ich über das Laufen mit Apps, seine Vor- und Nachteile und die Frage, ob die Götter Google Maps nutzen, und wer sich fragt, was Lauf-Apps bringen oder welche Risiken sie bergen, wird darin hoffentlich einige nützliche Informationen finden. Viel lieber aber möchte ich über die Bandbreite dieses Buches schreiben, die einer der Gründe für meine Freude ist, daran einen Anteil zu haben.
»Am Straßenrand steht eine schon etwas ältere Dame, sie ruft: ›Ihr macht das super! Ihr seht toll aus! Das schafft ihr locker!‹ Ich glaube, sie ruft das niemand Bestimmtem zu, sondern einfach allen, das ist wirklich reizend, und ich freue mich und laufe gleich ein bisschen leichter.«
Isabel Bogdan: »Alsterlauf — Die ersten Zehn«
So hat Maximilian Probst beispielsweise einen wunderbar lohnenswerten Beitrag über den Marathon als Königsdisziplin der Selbstoptimierung beigesteuert, in dem er einen historisch-philosophischen Bogen vom aristokratischen Tennis hin zum Massensport Laufen schlägt, bei dem dennoch jeder für sich allein läuft. Oder Journalist Robert Semmler, der in »42,195 Kilometer in eine andere Welt« ganz vortrefflich seine Marathon-Reise mit Emil Zátopek, Frank Shorter oder Paula Radcliffe beschreibt, die ich nach meinem letzten Wochenende in Helsinki noch besser verstehen kann. Oder Isabel Bogdan in ihrer unnachahmlichen Art, die mit »Alsterlauf — Die ersten Zehn« ihren ersten offiziellen Lauf überhaupt so wunderbar resümiert, dass es einen reut, dieses Erlebnis eben nur einmal im Leben haben zu können: »Hier bin ich, ich laufe in der schönsten Stadt der Welt zehn Kilometer um die Alster, die Sonne scheint, und ich habe Freunde, die am Straßenrand stehen und mir Apfelstückchen in die Hand drücken. Wahrscheinlich habe ich schon eine Überdosis Endorphine und Adrenalin im Blut, dass ich so gerührt bin, ich verdrücke tatsächlich ein Tränchen und freue mich über alle Maßen über diese Apfelstückchen.« Oder Armin Chodzinski und seine »Predigt in vier Phasen« über das Runner’s Delight, die die gar nicht so unwichtige Frage aufwirft, ob man für oder gegen seinen Körper läuft.
Und dann wären da noch die vielen anderen Autoren, darunter einige, deren Beiträge auch schon im englischen Original des Buches »Running and Philosophy: A Marathon for the Mind« erschienen sind und deren Aufsätze ich guten Gewissens Standardwerke nennen will — etwa die Philosophie-Professoren Michael W. Austin, J. Jeremy Wisnewski oder Heather L. Reid. Sie alle — oder darf ich sagen: wir alle? — versuchen jeder für sich die Frage zu beantworten, warum Laufen so viel mehr ist als nur einen Fuß vor den anderen zu setzen. Oder, wie Herausgeber Peter Reichenbach es umschreibt: warum noch mehr dahinter steckt als dieses »Schuhe an und los«. Laufen schult unseren Charakter, sagt er, »und verhilft uns letztlich zu größerer Freiheit, erweitert unseren Horizont und lehrt uns viel über uns selbst und die Welt um uns herum«.
Glück kann ja wohl jeder brauchen
Doch es gibt noch zwei andere Gründe für meine Freude, Anteil an diesem Buch zu haben. Es ist im ebenso kleinen wie feinen Mairisch-Verlag erschienen, der sich selbst als Indie-Verlag bezeichnet, sodass ich das wohl auch darf. Und: Es ist wunderschön, genauso schön wie es auch »Die Philosophie des Radfahrens« und »Die Philosophie des Kletterns« sind, die der Verlag im Programm hat. Vom Cover mit seiner eleganten Prägung über das Papier und die reduzierten Farben bis zum manierlichen Satz ist es ein Buch, das man gerne zur Hand nimmt und in dem man gerne immer und immer wieder schmökert.
»All die vielen Läufe, etliche im Dunkeln vor dem Frühstück, manche im Regen, ein paar im Urlaub durch die herrliche Wald- und Wasserlandschaft Finnlands, haben sich gelohnt, auch das bewusstere Leben, die Ausdauer beim Verfolgen dieses einen Ziels. […] Wochen, ja Monate werden manchmal auf den letzten Metern eines Marathons zu Sekunden des Glücks komprimiert.«
Robert Semmler: »42,195 Kilometer in eine andere Welt«
Es hat deshalb an diesem Montag vor gut fünf Monaten, von dem hier bis jetzt noch gar nicht die Rede war, auch nicht lang gedauert, bis ich Peter Reichenbach auf seine erste Anfrage, ob ich nicht Lust und Zeit hätte, ein Kapitel zur Philosophie des Laufens beizusteuern, geantwortet hatte. Schnell waren wir uns einig, schon kurze Zeit später begann ich zu schreiben, und gestern nun hatte ich ein druckfrisches 200-Seiten-Exemplar im Briefkasten.
Am 1. Oktober schließlich wird das Buch in den Handel kommen, als Hard-Cover und als E‑Book und mit der formvollendeten ISBN 978–3‑938539–37‑8. Es wird schlanke 19,80 Euro kosten und — soviel sei verraten — sich auch in Deinem Bücherregal ganz famos machen. Oder auf Deinem Nachttisch. Oder in Deinem Rucksack. Ob Du schon läufst oder nicht, ob Du wieder damit aufgehört hast oder gar nicht erst damit anfangen willst, ob Du alter Marathon-Hase bist oder blutiger Einsteiger. Die 16 Autoren erklären Dir, »wieso Freundschaften unter Läufern auch für andere Bereiche des Lebens wichtig sind, berichten vom Laufen mit Apps und davon, welchen Unterschied es macht, auf einem Laufband oder im Freien zu laufen.« Wir schildern Dir »die Parallele zwischen Schmerz und Freude beim Laufen und im Leben, erzählen, wie es sich anfühlt, zum ersten Mal einen Marathon zu laufen — und zeigen, warum ein kurzer Trainingslauf am Wochenende genauso glücklich machen kann.« Und das ist dann auch das wohl Wichtigste an diesem Buch: Am Ende handelt es vom Glück. Und das kann ja nun jeder brauchen. Oder willst Du mir da widersprechen?