Körper & Geist
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Die Ausdauer im Kopf

Ein Sportler läuft im Sonnenuntergang einen Hügel vor der Skyline einer Großstadt hinunter

Es ist Zufall, dass ich diesen Beitrag aus­gerech­net an dem Tag schreibe, an dem in Frank­furt Marathon gelaufen wird. Eigentlich war ich dieses Jahr gemeldet für den ältesten Stadt­marathon Deutsch­lands, doch in den ver­gan­genen Wochen habe ich den Ter­min aus dem Blick ver­loren. Vielle­icht habe ich ihn auch verdrängt.

»Often, we may think a hia­tus won’t affect us much once we try to get back into run­ning. Then, when we start run­ning again, we can become sur­prised to find how dif­fi­cult it can be, phys­i­cal­ly and men­tal­ly.«
Rachel McFar­land: »5 Ways to Get Back Into Running«

Drei Monate, eigentlich den gesamten Som­mer über, bin ich gar nicht gelaufen, außer Gefecht geset­zt von meinem Knie. Und nach­dem Hausarzt, Orthopäde und Radi­ologe rat­los zurück­ge­blieben sind, hat let­z­tendlich meine Phys­io­ther­a­peutin her­aus­ge­fun­den, wo genau das Prob­lem lag. Und sie hat mich wieder auf die Spur gebracht, weshalb ich jet­zt wieder ein Ziel habe. Und das sind nicht die 42,195 Kilo­me­ter, die heute in Frank­furt auf dem Pro­gramm ges­tanden hät­ten — es sind viel kleinere Etappen.

Vor zwei Wochen habe ich das erste Mal wieder meine Lauf­schuhe geschnürt — für genau zwei Kilo­me­ter. Nach zwei Kilo­me­tern näm­lich waren beim let­zten Mal die Schmerzen gekom­men. Und so geht es jet­zt erst mal darum, für den Kopf das Laufen wieder vom Schmerz zu entkop­peln und nur Streck­en zu laufen, die so kurz sind, dass sich das Knie gar nicht erst meldet. Dazu aber muss man erst mal ler­nen, zwar dur­chaus regelmäßig auf den eige­nen Kör­p­er zu hören, aber eben auch nicht ständig, nicht jede Sekunde, nicht bei jedem Schritt. Damit sich nicht dieser Phan­tom­schmerz meldet, bei dem man nicht merkt, dass er gar nicht echt ist, son­dern einem die Erin­nerung nur einen Stre­ich spielt.

Nur der Kopf will weiter und weiter und weiter

Erstaunlich ist dabei außer­dem, wie schw­er es dem Kopf fällt, tat­säch­lich nach diesen lächer­lichen zwei Kilo­me­tern aufzuhören. Und wie schw­er es fällt, all die anderen Läufer*innen, die — mal furcht­bar keuchend, mal demon­stra­tiv leicht­füßig — an einem vor­beiziehen, auch wirk­lich ziehen zu lassen. Dabei haben meine Beine in den let­zten Tagen ziem­lich deut­lich das Sig­nal gegeben, dass wirk­lich viel gar nicht drin gewe­sen wäre. Nach drei Monat­en Pause ist ein Großteil der Kon­di­tion ein­fach weg. Der Atem sticht, die Beine sind selt­sam schw­er und unbe­weglich, nur der Kopf will weit­er und weit­er und weiter.

»There’s no mag­ic to run­ning far. Endurance is men­tal strength. It’s all about heart.«
Bear Grylls

Und trotz­dem: Hätte ich an diesem Son­ntag vor zwei Wochen auf meinen Kör­p­er gehört, ich hätte meine Schuhe vor der Haustür in die Müll­tonne geschmis­sen. Ein frus­tri­eren­des Gefühl, dass die Arbeit von so vie­len Monat­en und so vie­len Laufrun­den in kürzester Zeit zunichte gemacht wer­den kann. Doch die Aus­dauer, sie sitzt nicht nur in den Beinen — das weiß, wer ein­mal ein län­geres Ren­nen gelaufen ist. Die let­zten Kilo­me­ter beim Halb­marathon oder Marathon entschei­det nicht die kör­per­liche Fit­ness. Wenn die Muskeln längst schlapp machen, ist es der Kopf, der einen ins Ziel bringt.

Und so sieht es auch nach ein­er solchen Lauf­pause aus. Mag der Kör­p­er auch zweifeln und noch so viel nachzu­holen haben, der Kopf weiß, zu welchen Leis­tun­gen er in der Lage ist. Er weiß, dass das Train­ing jet­zt zwar wieder von vorne begin­nt, er selb­st aber schon ein paar Run­den voraus ist. Die Aus­dauer im Kopf, sie ist im Moment das Einzige, dem ich gerne hinterherlaufe.

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